Erst altmeisterlich, später erotisch

Als Maler der Neuen Sachlichkeit wurde er berühmt, aber sein Werk ist weit vielseitiger: Das Haus am Waldsee zeigt die Metamorphosen des Dandys und Nihilisten Christian Schad

Seine unterkühlten, die Selbstinszenierung des modernen Metropolenmenschen sezierenden Porträts aus den Zwanzigerjahren gehören zu den Ikonen dieser Epoche. Eines davon gilt „Sonja“, jener selbstbewusst-mondänen Sekretärin, der der Künstler im berüchtigten Romanischen Café in Berlin begegnet war. Fast denkmalhaft sitzt die in viel Schwarz gehüllte jünglingshafte Frau da, eingezwängt zwischen Tischen, ausgerüstet mit Zigarettenspitze und zartrosa Seidenkamelie. Zwei männliche Körperfragmente rahmen die melancholisch blickende Schöne der Nacht. Das 1928 datierte Gemälde von Christian Schad (1894 – 1982) war das erste, das die Berliner Nationalgalerie vor zwei Jahren von diesem Maler ankaufte, der lange im Schatten von Beckmann, Dix oder Grosz gestanden hatte.

Nun taucht das Bild, das 1980 den Katalog der Retrospektive in der ehemaligen Staatlichen Kunsthalle zierte, erneut in einer Ausstellung von Christian Schad auf. Nachdem vor zwei Jahren eine umfassende Präsentation seiner Werke in Zürich, München und Emden zu sehen war, hebt die Schau im Haus am Waldsee vor allem auf das zeichnerische und druckgrafische Werk sowie auf die Fotogramme ab, mit denen der Künstler 1919 Neuland betreten hatte und in die Kunstgeschichte eingegangen ist.

Sie bündeln, mehr als anderes in seinem Werk, die Vielseitigkeit und Imaginationsfähigkeit, ja die Metamorphosen des Künstlers, der seit der Wiederentdeckung der Neuen Sachlichkeit in den Sechzigerjahren allzu sehr mit dieser gleichgesetzt wird. Hauptleihgeber der Ausstellung ist das Kunstkabinett G. A. Richter aus Rottach-Egern.

Christian Schad, im oberbayerischen Miesbach geboren, war eine Mischung aus Dandy, Ästhet und Nihilist. Er fotografiert früh, studiert in München Malerei, weicht vor dem Ersten Weltkrieg nach Zürich und Genf aus, hat Kontakte zur dortigen Dada-Bewegung und illustriert die vom befreundeten Boheme-Schriftsteller Walter Serner herausgegebene Monatsschrift für Literatur und Kunst, Sirius.

Während die ersten Holzschnitte von Schad noch symbolistische Spuren tragen, greift er bald kubistische und expressionistische Formen auf und stellt ironische, teils makabre Großstadtszenen dar. Schad, der von sich sagt: „Ich urteile nicht, ich sehe“, glaubt zugleich an die „ethische Gesetzeskraft der Kunst“.

In den Zwanzigerjahren lebt Schad in Rom und Neapel, dann in Wien, ab 1927 in Berlin. Seine von der Renaissance beeinflussten neusachlichen Bildnisse entstehen, wie „Sonja“ oder das „Porträt eines Engländers“, und parallel dazu in Spritztechnik kolorierte Zeichnungen, scharflinige Milieu-Einblicke in Bars, Kneipen, Tanzcafés oder Bordelle, die Schad in den Siebzigern als Lithographien neu herausgibt. In den gemalten Porträts der Nachkriegsjahre, als der Künstler nach Süddeutschland zog, wandelt sich das Altmeisterliche zu einem eher maniriert-magischen Realismus, der im Schlussbild der Ausstellung, „Im Irisgarten“, eine erotisch-symbolische Note erhält.

Eine besondere Rolle spielen die von ihrem Urheber „Photos nach Compositionen“, von Tristan Tzara „Schadographien“ genannten Bilder ohne Kamera. Von den seltenen frühen Werken ist nur ein Beispiel zu sehen. Aber Schad hat nach 1960 viele neue geschaffen, darunter vor allem die fantasievollen Bildbeigaben zu den Prosagedichten „Gaspard de la nuit“ von Aloysius Bertrand aus dem frühen 19. Jahrhundert. Ursprünglich arrangierte er gefundene Gegenstände auf Tageslichtpapier, später in der Dunkelkammer auf handelsüblichen Fotopapieren. Aus Weggeworfenem und banalen Alltagsutensilien, aus Licht und Schatten formen sich rätselhafte Bildwelten. Die vom Zufall gesteuerten Resultate sind frappierend, wie von Geisterhand gezaubert.

Michael Nungesser

Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, bis zum 6. Februar 2000; Dienstag bis Sonntag 12 bis 20 Uhr. Statt eines Katalogs ist in der Ausstellung das Buch „Christian Schad. Druckgraphiken und Schadographien 1913 – 1981“ der Edition G. A. Richter, Rottach-Egern 1997, für 48 Mark erhältlich