Atomstopp durch die Polizei?

Diverse Atomtransporte beantragt trotz hundert Auflagen.SPD: Entscheidung zum Atomausstieg in drei Monaten

Wendland (taz) – Die Einigung über den Atomausstieg soll in den nächsten Wochen kommen, meint die rot-grüne Bundesregierung. SPD-Fraktionschef Peter Struck gestern zu den Verhandlungen mit der Atomindustrie: „Wenn der Konsens im kommenden Vierteljahr nicht steht, dann werden wir ein Ausstiegsgesetz in den Bundestag einbringen.“ Die Grünen hatten ähnliches schon vor Weihnachten gesagt.

Während sich die Politiker am Konsens mit den Konzernherren reiben, arbeitet die Verwaltung weiter. Und dort wird klar: Die Wiederaufnahme der Atomtransporte rückt näher – und nur mit solchen Transporten können alle AKWs nach derzeitiger Rechtslage in Betrieb bleiben. Eigentlich gilt seit Mai 1998 der Transportestopp der damaligen Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU), weil die Behälter außen kontaminiert waren.

Für die nächsten Monate sind jedoch beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) eine ganze Reihe von Genehmigungen in Arbeit. Beantragt wurden sowohl Transporte von den süddeutschen Standorten Biblis, Neckarwestheim und Philippsburg zum Zwischenlager Ahaus als auch von diesen drei Kraftwerken und dem niedersächsischen Stade zu den Wiederaufarbeitungsanlagen (WAA) La Hague und Sellafield. Zusätzlich sollen hochradioaktive Abfälle aus der französischen WAA nach Gorleben gebracht werden.

Die Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) und das Öko-Institut wurden mit der Erstellung von drei Gutachten beauftragt, die die notwendigen technischen Neuerungen für die Aufhebung des Transportverbots festlegen. Inzwischen liegen die Expertisen vor. Die in den Gutachten zu den innerdeutschen Transporten und zum geplanten Transport nach Gorleben festgelegten Empfehlungen sind von den Betreibern abgearbeitet. Nur bei der dritten Variante – dabei geht es um Züge von den Kraftwerken zu den WAAs – muss noch eine Liste mit 100 Auflagen von den Betreibern erfüllt werden. RWE-Sprecher Hermann Venghaus rechnet trotzdem mit einer Umsetzung innerhalb von zwei bis drei Monaten.

Die AKW-Betreiber fordern denn auch schnellstmögliche Genehmigungen für Atommüllzüge zum Zwischenlager Ahaus. Die Behälter vom Typ Castor V/19 haben seit dem 19. November die verkehrsrechtliche Zulassung vom BfS. An den süddeutschen Standorten wurden bereits jeweils drei dieser Behälter angeliefert.

Land will sechs Monate vorher die genaue Strecke

Wolfgang Harwickhorst, Geschäftsführer der Gesellschaft für Nuklearservice (GNS), die die Transporte organisiert, verkündete auf einer Anhörung des Bundestags-Umweltausschusses, dass seine Firma die Beladung an allen drei Kraftwerken vorbereite. In Neckarwestheim wolle man schon im Januar damit beginnen.

Doch beladen können die Castoren erst dann werden, wenn die Transportgenehmigung vorliegt. Diese wird aber im Paragraph 4 des Atomgesetzes davon abhängig gemacht, dass „der erforderliche Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter gewährleistet ist“. Auch dürfen keine „überwiegenden öffentlichen Interessen der Wahl der Art, der Zeit und des Weges der Beförderung entgegenstehen“. Also nur wenn sich die Polizei in der Lage sieht, die Castor-Behälter sicher ans Ziel zu bringen, darf das BfS die Genehmigung erteilen.

Da aber die Innenministerien der Länder im Falle der Aufhebung des Transportestopps noch eine Steigerung des bisher von Gorleben und Ahaus bekannten Widerstandes befürchten, wird diese Frage möglicherweise zum Knackpunkt in der Auseinandersetzung. So hat das niedersächsische Innenministerium verlangt, dass mindestens sechs Monate vor einem Transport Streckenführung und Sicherungsmaßnahmen angemeldet werden sollen. Sah sich die Polizei schon bisher nicht in der Lage, mehr als einen Atommüll-zug pro Jahr durch die Republik zu geleiten, so verschärft sich die personelle Situation im Expo-Jahr nochmals.

Allerdings gehen manche Bundesländer davon aus, dass der Widerstand bei den Transporten ins Ausland geringer ausfällt. Der Polizeiaufwand wäre begrenzbar, Atomzüge könnten öfter rollen. Länder und Betreiber erhoffen sich hier ein Ventil für die Atommüllmisere. Doch die Anti-Atom-Bewegung hat sich längst umorientiert. Am 8. Januar findet in Heidelberg eine bundesweite Konferenz von Initiativen und Umweltverbänden statt. Dort wird die Planung der Aktionen gegen genau diese Transporte ein Schwerpunkt sein. Und wenn die Streckenführung sechs Monate vorher bekannt ist, bleibt Zeit fürs Tüfteln. Jochen Stay