Vorwärts und nicht bestechen

In Vietnam fordert die populäre Antikorruptionskampagne der KP mit dem Vizeministerpräsidenten ein prominentes Opfer

Berlin (taz) – Vietnams Nationalversammlung hat Mitte Dezember Vizeministerpräsident Ngo Xuan Loc wegen Korruption abgesetzt – auf Bitte der Kommunistischen Partei. Die Medien sind sich uneinig, ob der für Wirtschaft und Finanzen zuständige oberste Politiker einen Vergnügungspark oder ein Schauaquarium genehmigte. Doch unstrittig wird ihm vorgeworfen, dabei Bestechungsgelder angenommen zu haben.

Loc ist der bisher ranghöchste Politiker Vietnams, der wegen Korruptionsvorwürfen seinen Sessel räumen musste und sich wohl auch noch vor einem Gericht verantworten muss. Ähnliche Vorgänge gegen Politiker, Beamte und Chefs von Staatsfirmen sind inzwischen alltäglich. In den letzten fünf Jahren wurde sogar 41 Mal wegen Korruption die Todesstrafe verhängt, 1999 allein 8 Mal. In den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres wurden 13 Mal lebenslängliche Haftstrafen, 75 Strafen zwischen 10 und 29 Jahren und 653 zwischen 7 und 10 Jahren verhängt. Laut Richter Trinh Hong Duong laufen derzeit 526 Korruptionsverfahren, in die 1.100 Regierungsvertreter, Beamte und Kader von Staatsfirmen verwickelt sind.

Vor zwei Jahren, als die Asienkrise Vietnam zeitversetzt erreichte, hatte die KP die Kampagne gegen Korruption gestartet. KP-Chef Le Kha Phieu macht die Korruption mit verantwortlich für die wirtschaftliche Stagnation. Das ist eine bequeme Sichtweise, die Korruption lediglich als Verfehlung Einzelner bewertet und grundsätzliche Fragen außen vor lässt.

Die Grenze zwischen Korruption und normalem Verwaltungshandeln ist in Vietnam fließend, weil es keine funktionierende Gewaltenteilung gibt. Ein Polizist, der für ein paar Dong jahrelang ein illegales Bordell toleriert, hat so wenig ein Schuldbewusstsein wie ein Zollbeamter, der einen aus Deutschland zurückkehrenden Vietnamesen vor die Wahl stellt, entweder ein paar Mark zu zahlen oder zwei Stunden auf seine Abfertigung zu warten.

Staatsdiener werden in Vietnam traditionell schlecht bezahlt. Ohne den Lebensunterhalt durch Nebenerwerb aufzubessern, können die meisten nicht überleben. Ein Gesetz regelt sogar, wieviel bezahlte Nachhilfestunden Lehrer ihren eigenen Schülern geben dürfen. Doch ein Abiturient hat kaum eine Chance, eine Aufnahmeprüfung zur Hochschule zu bestehen, ohne zuvor auf eigene Kosten Nachhilfestunden beim Prüfer zu nehmen. Der Übergang von Existenzsicherung zu käuflichen Prüfungen ist fließend.

Die Antikorruptionskampagne kommt bei vielen Vietnamesen gut an. Zwar ist es zwischen Mekong und Rotem Fluß Tradition, Beamten für die Erfüllung ihrer Arbeit Geld zuzustecken. Aber mit dem Wirtschaftsboom der 90er-Jahre schnellten die Forderungen der Staatsdiener in astronomische Höhen. Positiv ist, dass sich Vietnamesen neuerdings mit ihren Erfahrungen an die Medien wenden können, die viele Missstände öffentlich machen. Allein die Drohung mit der Presse vermag an der traditionellen Allmacht des Staates zu kratzen. So machte im November eine Fernsehreportage über eine Baufirma Furore, die eine aus öffentlichen Mitteln finanzierte Brücke mit minderwertigem Material produzierte. Die Antikorruptionskampagne dient auch der Außenwirkung Vietnams, das händeringend um ausländische Investoren wirbt.

Bei den Korruptionsverfahren drängen sich Vergleiche zu öffentlichen Schauprozessen und der chinesischen Kulturrevolution auf, die früher als Vorbild galt. „In allen politischen Prozessen ist die Anklage identisch mit dem Urteil“, sagt ein Jurist. „Die Angeklagten erhalten zwar einen Verteidiger, aber der ist neben seinem Mandanten auch der Parteidisziplin verpflichtet.“ Als „politisch“ gilt ein Prozess schon, wenn dem Bruder eines Polizisten das Radio gestohlen wurde. Marina Mai