Schöngegrunzte Fäulniss

■ Alles geht, und links heißt im Zweifel gut: Im letzten Jahr wurden auch manche Metaller zum harmlosen Heimchen am Pop-Herd

Metaller habens mit dem Umdrehen von Dingen: Kreuze werden zwecks okkulter Sinnstiftung auf den Kopf gestellt, organische Fäulnissprozesse schöngegrunzt und alte Zeiten zur Zukunft stilisiert. Ein wesentlicher Grund dafür, dass sich für Metal kaum mehr jemand interessiert außer eben den Metalllern selbst, liegt darin, dass sich das Genre nach den Jahren der Irrungen (Grunge-Tristesse und nordisch-rechtsradikalen Black Metal-Unruhen) wieder auf dem Weg der betriebsinternen Gesundung befindet und ganz in sich selbst ruht. True Metal wird als wahrhaftige Option gehandelt, Death Metal ist jetzt eine angesehene Fingerübung, und selbst die Neue Deutsche Härte wird per Provokations-Plakette gegen die PC-Angriffe von links geschützt.

Überhaupt Politik: In ihrer aktuellen Ausgabe beschäftigt sich das Szene-Organ Rock Hard mit dem Thema „Rock und Politik“. Anlass für die Auseinandersetzung ist die anstehende Veröffentlichung des neuen Albums der bekennenden Linksaktivisten Rage Against The Machine. Im Zweifel meint „links“ auch hier „gut“, aber allzu sehr sollte man damit nicht in die Vollen gehen, dann nämlich würde man radikal werden, und das ist jedem Metaller ein Gräuel. Das als gesund empfundene Maß aus business-feindlicher Wachsamkeit, szene-interner Loyalität und vereinfachter Feindverortung in Richtung rechtes Lager dient dabei als Basis, auf der auch der fantasy-verkleis-terte Quatsch aus Dragon-Welt, Klassikerfurcht und Meisterwerk wieder gedeihen konnte. Eigentlich wollen Bands wie Rage, In Extremo oder Hammerfall alle dasselbe: In Ruhe gedeihen.

Beim diesjährigen Open-Air-Klassentreffen im holsteinischen Wacken trugen deshalb die Beteiligten einen kollektiven Spaß-Stempel auf der Stirn, jeder zeugte jedem Respekt, eine generationsübergreifende WG mit mehr als 10.000 Zimmern. Betrunkene Black Metaller aus Norwegen warfen höchstens noch mit schmutzigen Schuhen auf harmlose Mitmetaller, und selbst die alten Herren von Metal Church durften ungesühnt mit prallen Bäuchen auf der Bühne herumposen. Subway To Sally spielten Dudelsack und wurden von Leuten beklatscht, die bluttriefende Cannibal Corpse-T-Shirts trugen. Da hilft auch kein Umdrehen mehr: Metal bleibt das harmloseste aller Heimchen am Pop-Herd!

Oliver Rohlf