Der Totmacher und seine Tauben

Jim Jarmusch hatte schon immer eine Vorliebe für exzentrische Streuner, Tagediebe und Einzelgänger. In „Ghost Dog“ begibt sich Forest Whitaker als Auftragskiller auf den asketischen Weg der Samurai ■ Von Claudia Lenssen

In „Permanent Vacation“ schickt Jim Jarmusch einen Jungen durch eine urbane Mondlandschaft aus Abbruchhäusern und Schutthaufen. In „Stranger than Paradise“ riss einer sein TV-Dinner auf und aß aus dem Stanniol-Set auf seinen Knien. In „Down by Law“ verirrte sich ein Boot in den Sümpfen am Mississippi. Leute trafen sich in „Night on Earth“ und redeten eine Taxifahrt lang aneinander vorbei.

Jim Jarmusch hat es mit den Einsamen. Was sie tun und wie sie sich bewegen, erzählt er wie kaum ein anderer Regisseur in Szenen scheinbar angehaltener Zeit, die man lange im Gedächtnis behält. Die größeren Erzählbögen, in denen Details untergeordnet wirken würden, zerlegt er lieber in Episoden: Ähnlichkeiten und Wiederholungen werden dadurch deutlich – etwas Rituelles, Meditatives haftet seinen Geschichten an.

Reisende scheinen sich auf der Stelle zu bewegen; Figuren, die verharren, tun dies so intensiv, dass man wie im Traum „mitgeht“. Gespräche, Verabredungen, Kommunikationsformen haben etwas Absurdes bei Jarmusch, und folgerichtig ist Brutalität bei ihm oft komisch. Jarmuschs Helden sind seit „Permanent Vacation“ mit einem Fluidum eigensinniger Musik und sprachlicher Innenwelten aus dem Film-Off ausgestattet, das den Filmen etwas Halluzinatorisches gibt. Sie wirken wie Schlaf bei offenem Fenster über einer New Yorker Straße oder ein melancholischer Hänger nach einer Tüte zu viel am vorigen Abend.

Jarmuschs neuer Film „Ghost Dog“ geht noch ein paar Schritte weiter als „Dead Man“, wo Johnny Depp naiv in eine Westerngeschichte hineingeriet, die ihm gleich zu Beginn eine tödliche Wunde verpasste und einen ganzen Film im Sterben zu sich kommen ließ.

Ghost Dog ist als Filmheld ein ähnlich existenzialistischer Außenseiter, wieder in einer Geschichte, die an amerikanische – längst universell akzeptierte – Mythen anknüpft. Ghost Dog ist ein Killer, ein einsamer Spezialist des Todes. Forest Whitaker spielt diesen massigen Krieger mit afrikanischer Zopffrisur, der zur Tarnung die Kapuze seines Sweatshirts wie ein europäisch anmutender Mönch trägt, der die Schwertübungen eines Samurai schwebend wie im Tanz absolviert und der seine Brieftauben mit zärtlichen Händen begrüßt. Ganz ähnlich wie die traumverlorene Annäherung des „Dead Man“ Johnny Depp an den Indianer, der ihn begleitet, erzählt Jarmusch hier den einsamen Versuch, über die Einübung eines rituellen Codex ein altes, verloren gegangenes Erbe wieder zu finden, das Identität verheißt. Ghost Dog liest sich in das japanische Lehrbuch der Samurai-Prinzipien ein. Textpassagen aus dem Buch „Hagakure“ werden wie Schrifttafeln immer wieder eingeblendet.

Nichts ist also selbstverständlich, vielmehr zieht sich die Auseinandersetzung mit einem Ideal durch den Film, ein Diskurs über asketisches Selbstverständnis, das an der Komplexität unvereinbarer Männlichkeitsbilder scheitert.

Ghost Dog ist absolut einsam in der konstruierten Männerwelt von Jarmuschs Film. Muslimische Schwarze grüßen ihn auf der Straße distanziert, zu den Rappern im Park schaut er hin, weil deren groovende Körpersprache und Textkaskaden der wunderbar kantigen Rapmusik von RZA entsprechen, die Ghost Dog wie eine zweite Haut umgibt – aber die Schwarzen beachten ihn nicht. Der Einzige, mit dem er sich versteht, ist ein schwarzer Eisverkäufer, der nur Französisch spricht. Isaach de Bankolé spielt diese bizarre Gegenfigur als freundlichen Fantasten, der seinem Freund ein Schiff zeigt, das auf einem Hausdach gebaut wird. Ohne gemeinsame Wortspiele gelingt die Kommunikation zwischen den beiden; sie stammen aus der gleichen Wurzel, gehören aber jetzt zwei verschiedenen Stämmen an – wie Ghost Dog melancholisch bemerkt.

Forest Whitakers Figur ist gut für eine Loser-Geschichte. Sein Samurai-Prinzip, dem Tod ins Auge zu schauen, gibt mit dem ersten Satz des Film das Ende vor.

Fatal ist vielleicht nicht die Maxime, sich bedingungslos einem Meister zu unterwerfen, fatal ist die Wahl seines Meisters. Ghost Dog hält zu dem weißen Gangster Louie, der ihm einmal das Leben gerettet hat. Louie übermittelt Ghost Dog Tötungsaufträge, „Kontrakte“, auf die Weise, die der Samurai sich ausbedungen hat: poetisch und absolut abhörsicher per Brieftaube. Mit einem metallenen Geschäftskoffer voller Schießeisen und elektronischen Schlossknackern macht sich der Killer nachts auf den Weg durch die namenlose amerikanische Stadt und legt jedesmal seine Rap-CDs mit ritueller Präzision in die Musikanlage ein.

Die Verhältnisse werden in dem Moment kompliziert, als Ghost Dog einen alten Gangster tötet, bei dem die Tochter eines anderen Gangsters untergeschlüpft war. Ghost Dogs Meister Louie gibt seinen Krieger dem Club der lokalen Bosse preis, die auf Rache aus sind – eine Runde beinharter schrulliger Rassisten und Chauvinisten aus dem Typenreservoir New Yorker Mafiafilme, unter ihnen Henry Silva.

Jarmusch karikiert sie gnadenlos als Haufen alternder Gockel, gegen deren Terminator-Attitude sich Ghost Dog mit Kriegslist Auge um Auge zur Wehr setzt, bis es zur Konfrontation mit seinem Meister kommt, der in die ihm von seinem Anhänger zugedachte, idealisierende Rolle einfach nicht hineinpasst.

Die einzigen Frauen schauen dem Showdown zu, nicht unbeteiligt, aber auch nicht in der traditionellen Rolle der Wehklagenden. Der Samurai hatte sich mit beiden, einem schwarzen kleinen Mädchen und der kühlen Gangsterprinzessin, über Bücher ausgetauscht. „Rashomon“ und das „Hagakure“-Buch waren so über Ghost Dogs Vermittlung im Lauf des Films wie zwei sich ergänzende Geschichten durch ihre Hände gegangen.

Der einsame Geisterhund behält bis zuletzt alle Sympathie, weil seine Geschichte über den Tod und das Töten mit Forest Whitakers Ausstrahlung doch von einer zärtlichen Liebe zum Leben erzählt.

Die Bücherleser bleiben übrig, nicht die tragischen Krieger, gibt uns Jim Jarmusch in diesem wunderbar nachwirkenden Film mit auf den Weg. Seine Nähe zum amerikanischen Körperkino und nicht zuletzt sein Humor machen die leichte Penetranz seines literarischen Appells wett. Er erinnert an Godard, vertraut aber dem Rap.„Ghost Dog“. Regie: Jim Jarmusch. Mit: Forest Whitaker, John Tormey u. a. USA 1999, 116 Minuten