„Gut gegen Nägelknabbern“

■ Arto Lindsay über seinen Glauben an brasilianische Musik, den Beinahe-Tod und die Erneuerung des Jazz – und warum Männer ihren Freundinnen seine CDs schenken sollten

taz: Mr. Lindsay, es gab eine längere Pause zwischen Ihrem letzten Album und „Prize“, Ihrem neuen. War es schwierig, wieder mit der Arbeit zu beginnen?

Arto Lindsay: Schwierig sind Schallplattenaufnahmen immer. Ich habe dieses Mal aber versucht, viel mehr Songs in portugiesischer Sprache aufzunehmen. Portugiesisch ist nur meine zweite Sprache, und die Herausforderung war, dass es dennoch nach mir klingen sollte. Ich wollte keine Collage von Einflüssen anderer Sänger.

Was hat Sie daran so gereizt?

Dass ich es nicht konnte.

Am Ende des Jahrtausends scheint es ein enormes Interesse an brasilianischer Musik zu geben.

Das stimmt. Ich persönlich habe ja schon immer daran geglaubt. Einfach, weil es unumgänglich war.

Inwiefern?

Die Musik ist so gut. Hinzu kommt, dass sich die eingewanderten ethnischen Gruppen, die in Europa und den USA leben, damit auseinanderzusetzen beginnen, wo sie überhaupt herkommen. Die Musik der Heimat, auch wenn sie gefiltert ist durch Raum und Zeit, wird so zu einem Mittel, um sich über die eigene Herkunft zu informieren – und so zu einer Identität zu gelangen, die die kulturellen Wurzeln mit der Kultur des Landes, in dem man lebt, vermengt. Ich höre von neuer türkischer Musik aus Deutschland, und auch HipHop und afrikanische Musik in Paris sind nicht das Produkt irgendwelcher Marketingstrategen. Das Interessante daran ist für mich das Neue, das hier entsteht – nicht der Umstand, dass eine Tradition fortgeführt wird.

In Berlin gibt es ja sogar ein Kollektiv von DJs, die viele brasilianische Elemente in ihre Performances einbauen, die heißen Terranova. Für mich ist das einfach ein weiterer Beweis, dass zur Zeit alles parallel zu laufen scheint. Die Entfernungen zwischen Bahia, Rio, New York und Berlin sind geschrumpft. Rückblickend betrachtet, glaube ich, dass die Gleichzeitigkeit der Entwicklungen auf der Welt und die enormen Zugriffsmöglichkeiten auf Informationen Produktionsweisen wie diese überhaupt erst möglich gemacht haben. Wer sich mit dem Klang der Bossa Nova auseinandersetzt, wird vor allem von der Gleichzeitigkeit von Melancholie und Freude verwirrt, die dieser Musik innewohnt. Das ist das kontemplative, fast schon meditative Element in der brasilianischen Musik. Es ist eine universelle Erkenntnis, dass wer in sich hineinhört, dort neben Fröhlichkeit auch Melancholie finden wird. Seltsamerweise aber macht keine Musik von ihr so viel Gebrauch wie die brasilianische.

Gehören Sie auch zu den Künstlern, die Musik als eine Weltsprache bezeichnen?

In Brasilien sind die Musik und vor allem der Tanz unbedingt Sprache. Jeder Schritt, jede Aktion hat eine Bedeutung. Wer einen Tanz beherrscht – und das tun da unten nicht wenige –, der kann über den Tanz kommunizieren.

Ein Westeuropäer würde also nur Bahnhof verstehen.

Ein Westeuropäer würde schnell zu begreifen beginnen, wenn er einmal ein Konzert in Brasilien erleben sollte. Die Besucher singen mit – komplexe Texte, Melodien und Rhythmen.

Warum ist das so?

Das hat etwas mit dem Karneval zu tun. Abstrakt gesagt, ist Karneval die Erfahrung, wie weit man als Gruppe gehen kann. Die Musik ist laut, die Menschen sind dicht gedrängt auf engstem Raum beisammen. Der Karneval entlädt die Spannungen des täglichen Lebens – und die Musik spielt dabei eine gewichtige Rolle. Karneval kann einen persönlich ganz gut durchrütteln und ablenken, von neurotischem Nägelknabbern etwa.

Am Anfang Ihrer Karriere, mit den Lounge Lizards, teilten Sie und Ihr Mitmusiker John Lurie sich nicht nur über die Musik, sondern auch über einen abgehobenen Kleidungsstil mit. War das auch so eine Art Sprache oder Botschaft an die Welt?

Damals, ich erinnere mich, rannten wir zu Yamamoto, um noch strengere Anzüge zu tragen als die anderen. Aber diese enggefassten Blickwinkel verschwimmen mit der Zeit. Heute denke ich, dass jeder Performer modebewusst ist oder es sein sollte. Immerhin bewegen wir uns im Showbusiness – egal, ob wir uns im Underground oder in der Avantgarde bewegen.

Die Lounge Lizards wurden als Erneuerer des Jazz gefeiert – heute ist Jazz tot.

Ich glaube nicht wirklich, dass Jazz tot ist. Es gibt natürlich eine Menge toten Jazz, keine Frage, aber es gibt auch guten Jazz.

Irgendwelche Namen?

Don Byron und Matthew Ship zum Beispiel. In diesen Tagen gibt es eine neue Jazzbewegung in New York, die Free Jazz mit traditionellem Jazz vermischt, sie ist sehr ungebunden. Ich finde das interessant. Im Übrigen ist Jazz eine Musik, die auf der ganzen Welt fortgeführt wird, auch wenn wir uns einig sind, dass wir ganz sicherlich nicht in der Blütezeit des Jazz leben. Die schlechteste Musik der letzten Jahre war Acid Jazz – das allerdings war eine Erfindung schlechter englischer DJs.

Man sollte diese Musik in Prosecco ertränken.

Das sollte man.

In Deutschland gibt es immer mehr DJs, die Jazzschallplatten auflegen und ihr Publikum so daran erinnern, dass es vor Galliano eine bessere Welt gab.

Also DJs, die einfach nur Jazzplatten auflegen? Das ist cool. Da kommt in New York natürlich wieder niemand drauf.

Ihr neues Album heißt „Prize“. Spielen Sie Versteck mit Ihren Hörern?

Es ist doch nur ein Titel. Was ich erreichen wollte, war so ein vages Aroma von Old School HipHop – eine Art Reverenz, nicht mehr. Ich dachte, das sei durchaus ironisch zu verstehen.

Frauen mögen Ihre Musik.

Ich habe das ja schon immer gesagt: Schenkt euren Freundinnen meine CDs.

Woran liegt das?

Bis zu einem gewissen Grad ist es ja voraussagbar. Welche Frau hört schon gerne Heavy Metal ... Umgekehrt finde ich es klasse, wenn Männer feminine Musik mögen.

Was ist in Ihren Augen feminine Musik?

Weichere Musik. Stereolab ist zum Beispiel feminine Musik.

Ist Ihre Musik auch feminine Musik?

Sie hat einen starken femininen Einschlag. Aber ich würde sie nicht als feminine Musik bezeichnen. Dazu höre ich zu oft Panthera beim Aufstehen.

Hören Sie auch Popmusik?

Als ich kürzlich nach sechs Wochen in Brasilien endlich wieder nach New York gekommen war, ging ich in einen Laden und kaufte mir alle neuen Platten, die mich interessierten – darunter auch die neue David Bowie.

Und, gefiel sie Ihnen?

Sagen wir so: Ich finde seinen neuen Haarschnitt toll. Bowie ist ein Style King und sieht darüber hinaus faszinierend gut aus – für jemanden in seinem Alter einfach unfassbar. Da können seine Schallplatten noch so schlecht sein: Er kommt immer gut um die Ecke. Interview: Max Dax

Arto Lindsay: Prize (Ryko)