Panama und das Erbe des Big Spender

Nach fast hundert Jahren haben die Vereinigten Staaten von Amerika den Panamakanal Ende Dezember verlassen. Jetzt müssen die Panamaer selbst sehen, wie sie mit den Hinterlassenschaften des großen und reichen Bruders zurechtkommen. Nun müssen das Land und seine Bewohner sich umorganisieren, denn der Big Spender dieser mittelamerikanischen Volkswirtschaft gibt über Nacht nichts mehr. Hintergründe und Eindrücke aus Panama-Stadt von
Toni Keppeler

Es war ein langer Abschied. Am 7. September 1977 unterzeichneten die Präsidenten Jimmy Carter und Omar Torrijos einen Vertrag, nach dem die Kanalzone bis zur Jahrtausendwende Stück für Stück von den USA an Panama zurückgegeben werden sollte. Jetzt sind die Gringos endlich weg. Und trotzdem: Der sechzig Kilometer lange und sechzehn Kilometer breite Streifen, der das mittelamerikanische Land an seiner schmalsten Stelle gut 96 Jahre lang durchtrennt hatte, bleibt von ihnen geprägt. Von der glitzernden Fassade des Finanzzentrums in der Hauptstadt bis hin zur korrupten Halbwelt der Freihandelszone Colón – hätte man Panama den Panamaern überlassen, wäre hier nichts so, wie es ist.

Die Skyline von Panama-Stadt wirkt wie eine Außenstelle von Miami. Ein Wolkenkratzer neben dem anderen. Banken, Versicherungen, Hotels. Wie in Miami wird in diesem Viertel genauso viel Englisch wie Spanisch gesprochen. Und wie in Miami wird in Dollars gerechnet. Panama hat nur dem Namen nach eine eigene Währung: den Balboa. Er ist direkt an den Dollar gekoppelt. Scheine der Landeswährung werden nicht gedruckt. Nur ein wenig Münzgeld ist im Umlauf.

Das Bankenviertel von Panama-Stadt ist erst 25 Jahre alt. Die Idee dazu hatte General Omar Torrijos, ein linker Nationalist, der sich 1968 an die Macht geputscht hatte. Er wollte den USA einerseits den Kanal abhandeln und andererseits von ihrer Anwesenheit profitieren. Panama, hatte er erkannt, war der ideale Finanzstandort für Lateinamerika. Der Dollar als Währung und die starke Präsenz des US-Militärs gaben Sicherheit. Die Rahmenbedingungen aber glichen eher denen eines zwielichtigen karibischen Steuerparadieses: laxe Kontrollen, anonyme Nummernkonten.

Für risokobereite Finanzjongleure, Schwarze-Kassen-Warte und Geldwäscher war Panama jahrelang ein Paradies. 250 Banken ließen sich nieder. Bis zur Invasion der US-Armee im Dezember 1989. Das Bankenviertel blieb damals so gut wie unangetastet. Nur die am Rand der Neustadt liegende Vatikanische Botschaft, in die sich Panamas Militärchef Manuel Noriega geflüchtet hatte, wurde mit unerträglich lauter Rockmusik beschallt. Anfang 1990 wurde der starke Mann schwach und ergab sich. Die viertausend Toten, von denen Menschenrechtsorganisationen sprechen (US-Quellen nennen lediglich fünfhundert), gab es vor allem in der Altstadt, im Armenviertel Chorrillo. Dort stehen noch heute ausgebombte Ruinen. Trotzdem wurde den Bankern der Boden zu heiß. Rund hundert Finanzinstitute haben das Land seither verlassen.

Chorrillo liegt nur eine Bucht vom Bankenviertel entfernt. So weit ist es von der Ersten in die Dritte Welt. In Chorrillo glitzert nichts. Von den dreistöckigen Holzhäusern blättern die letzten Farbreste. Waghalsige Bretterkonstruktionen schützen die Balkonreihen vor dem Absturz. Die Bewohner, fast ausschließlich Schwarze, bezahlen keine Miete, kein Wasser, keinen Strom. Sie könnten es auch gar nicht. Jetzt noch viel weniger.

Am Rand von Chorrillo liegt ein kleiner Park, der im Volksmund „Park der Gelangweilten“ heißt. Früher saßen dort nur die Alten und spielten den ganzen Tag Domino. Heute ist halb Chorrillo unter den wenigen Bäumen versammelt. Seit die Gringos nicht mehr da sind, geht es mit dem Viertel noch weiter bergab. Schuhputzer, Gärtner, Hausmädchen, Chauffeure ...

Insgesamt haben 22.000 Menschen für die Besatzer gearbeitet. Hunderte kamen aus Chorrillo. Sie haben gut verdient. Mindestlohn: acht Dollar die Stunde. Einheimische Arbeitgeber bezahlen nur ein Viertel. Gut 350 Millionen Dollar, Jahr für Jahr, brachten die Gringos ins Land. Sie stellten nicht nur Leute ein. Sie speisten in Gasthäusern, besuchten Theater und Discos, buchten Hotels und touristische Ausflüge. Und die jungen GIs gingen zu den einheimischen Prostituierten.

Rosa lehnt diese Berufsbezeichnung für sich ab. „Huren“, sagt sie, „das sind die Frauen in den billigen Absteigen im chinesischen Viertel.“ Dort arbeiten nur Schwarze oder Latinas. Rosa ist Mulattin. Hoch gewachsen, schlank, milchkaffeebraun. Ihre knallengen Jeans und das eben so enge Shirt habe ihr ein Freund geschenkt. „Ich habe immer nur Freunde gehabt.“ Und die haben sie ausgehalten. Zugegeben, manchmal waren es zwei oder drei zur gleichen Zeit. Probleme? Keine, die Dienstpläne in den Kasernen sorgten dafür. Aber das liegt schon Monate zurück. „Das Hotel, in das wir immer gegangen sind, ist inzwischen geschlossen.“ Zu wenig Kundschaft. Die Absteigen im chinesischen Viertel sind billiger. „Aber dorthin werde ich nie gehen.“ Lieber hängt Rosa mit den anderen im Park der Gelangweilten herum.

Die Passagiere der Kreuzfahrtschiffe sehen Chorrillo nicht einmal aus der Ferne. Zwischen der Einfahrt in den Kanal und der Altstadt liegt Fort Amador. Hinter den Kasernen ist vom Schiff aus nur die Skyline des Bankenviertels zu erkennen. Ein Blick in die Dritte Welt bleibt den Urlaubern erspart.

Fort Amador ist wie die anderen dreizehn ehemaligen Stützpunkte der US-Armee ein eher freundlicher Anblick. Großzügige Gelände, von Palmen gesäumt. Für die Offiziere einstöckige Villenviertel mit Swimmingpools. Einfache Soldaten und Verwaltung waren in Gebäuden untergebracht, die ein bisschen aussehen wie im Fertigbau erstellte Pagodenpaläste. Bis zu 65.000 GIs waren in Panama stationiert. Die Radare auf den Stützpunkten hatten den Luftraum von ganz Lateinamerika im Blick. Manch ein Staatsstreich wurde dort ausgeheckt, manch eine direkte Intervention vorbereitet. Zuletzt die von 1983 in Grenada und die von 1989 in Panama selbst.

Der damalige Gegner Manuel Noriega war – wie auch Pinochet, Stroessner und Somoza, die Diktatoren Chiles, Paraguays und Nicaraguas – in der Kanalzone zur Schule gegangen. In der dortigen School of the Americas haben US-Berater sechzigtausend lateinamerikanische Offiziere ausgebildet. Auch in Aufstandsbekämpfung. Noriegas Fehler: Statt wie zu Beginn seiner Karriere für die CIA zu arbeiten, schlug er Töne gegen die USA an. Dass er zudem mit Drogen Millionen verdiente, war eine willkommene Rechtfertigung für die Intervention.Die US-Armee spielte für das Land von Anfang an eine entscheidende Rolle. 1903 fuhren Kanonenboote vor der damaligen kolumbianischen Provinz Panama auf und stärkten einer vorher unbedeutenden Unabhängigkeitsbewegung den Rücken. Die Staatsgründung am 4. November 1903 war eine abgekartete Sache. Die Regierung in Washington hatte Kolumbien einen Landstreifen quer durch Panama abkaufen wollen, um dort einen interozeanischen Kanal zu bauen.

Der Kongress in Bogotá lehnte ab. Die panamaische Unabhängigkeitsbewegung aber brauchte die USA, und schon zwei Wochen nach der Staatsgründung wurde von der provisorischen Regierung ein Vertrag unterzeichnet, der den Vereinigten Staaten die Souveränität über den gewünschten Landstreifen auf ewige Zeiten abtrat.

Vor den US-Amerikanern hatten schon die Franzosen versucht, dort einen Kanal zu bauen. Sie waren kläglich gescheitert. Zwanzigtausend Arbeiter waren von Geldfieber und Malaria dahingerafft worden. Die USA verheizten das Leben von weiteren fünftausend Arbeitern. Anders als die Franzosen planten sie ihren Kanal nicht auf Meereshöhe. Sie stauen den Fluss Rio Chagres zum Gatúnsee auf 26 Meter Höhe und heben die Schiffe in drei Schleusenstufen hinauf.

Das erste dieser Werke in Miraflores, knapp eine halbe Stunde von Panama-Stadt entfernt, ist die Attraktion jeder pazifisch-karibischen Kreuzfahrt. Hier ist der Kanal wirklich ein schmaler Wasserweg. Es ist, als führe ein Dampfer über Land. Zwei Schleusen heben die Schiffe in Miraflores je acht Meter hinauf. Zwei Kilometer dahinter kommt die Zehnmeterstufe von Pedro Miguel: Das Schiff kann in den Gatúnstausee einfahren.

Im Wasser schwimmen Kaimane. Kormorane fliehen vor den Ozeanriesen. In den Wäldern am Ufer turnen Affen durchs Gehölz, hoch oben auf den Gipfeln sitzen Tucane. Das Gebiet rund um den See ist ein Naturschutzpark, in dem sogar noch echte Waldindianer wohnen. Die Männer nur mit einem schmalen Stoffstreifen vor dem Geschlecht, die Frauen mit einem Tuch um die Hüfte. Früher, erinnert sich Chava Flaco vom Stamm der Emberá, lebten hier rund fünfzigtausend Waldmenschen. Seit die Gegend 1983 unter Naturschutz gestellt wurde, sind mehr als die Hälfte gegangen. Denn geschützt werden sollten hier nicht die Natur und ihre Bewohner, geschützt werden sollte der Kanal. Mit jedem Schiff, das auf das Niveau des Gatúnsees gehoben und auf der anderen Seite wieder abgesenkt wird, fließt eine halbe Million Hektoliter Süßwasser ins Meer. 13.000 Schiffe im Jahr durchqueren den Kanal. Das dafür nötige Wasser muss der Rio Chagres liefern. Um dies zu garantieren, darf der Regenwald in seinem Einzugsgebiet nicht weiter abgeholzt werden. Also wurde die Gegend Naturschutzgebiet.

Die Emberá-Indianer wohnen in Hütten auf hohen Pfeilern, um sich vor Feuchtigkeit und Tieren zu schützen. „Acht bis zehn Jahre hält so ein Haus“, sagt Flaco. „Meines ist demnächst fällig.“ Einzelne Balken sind schon durchgemodert. Will er ein neues bauen, braucht er für jeden Baum, den er schlägt, eine Genehmigung. Und die kostet Geld. „Wir brauchen heute viel mehr Geld als früher“, sagt Flaco. Die Emberá dürfen keinen Wald mehr für ihre Maisfelder roden. Sie dürfen nicht mehr jagen, nur noch fischen. Trinken können sie das Wasser des Gatúnsees schon lange nicht mehr. Jeden Tag paddelt Flaco deshalb im Einbaum über den See. „Die Kanalarbeiter von drüben schenken uns Trinkwasser.“

Am anderen Ende des Stausees, wo die Gatún-Schleuse hinunter zum Atlantik führt, liegt links die Vergangenheit Panamas und rechts seine Zukunft. Die Vergangenheit, das ist das ehemalige US-Fort Sherman und sein Hinterland. Hier übten die GIs den Dschungelkrieg. Neue Munition und neue Bomben wurden hier getestet. Aufgeräumt wurde nur oberflächlich. Rund zehntausend Hektar der Kanalzone waren einmal solche Übungsfelder und sind heute von Blindgängern verseucht. Es sei unmöglich, die Sprengkörper zu räumen, ohne Flora und Fauna zu gefährden, sagt die US-Armee. Aber Bomben schmeißen konnten sie auf die geschützte Natur. Zudem sei eine Säuberung viel zu teuer: rund 150 Millionen Dollar. Als die US-Armee 1988 in Kalifornien 22 Stützpunkte schloss, gab man für die Räumung von Blindgängern 2,5 Milliarden Dollar aus.

Die Zukunft auf der rechten Seite des Kanalausgangs ist die Freihandelszone Colón, die größte ihrer Art auf dem Kontinent. 1.300 Händler speichern in riesigen Hallen Parfüm, Alkohol und Elektrogeräte für ganze Nationen. Zwölf Milliarden Dollar im Jahr werden umgesetzt, anderthalb Mal so viel wie das Bruttoinlandsprodukt. Nur rund ein Prozent der Ware geht nach Panama.

Colón ist neoliberaler Kapitalismus pur. Die Händler erzählen Geschichten von Dollarwäsche, Waffenlagern, Drogen und bezahlten Killern. 1989, während der US-Invasion, holten panamaische Soldaten Kalaschnikows gleich lastwagenweise aus einer Halle. 1994 explodierte auf dem Flughafen eine Maschine mit 22 Großhändlern. Die Ursache ist bis heute ungeklärt. Allein voriges Jahr wurden mehrere Container mit geschmuggeltem Bier, Autoreifen, Uhren und Raubkopien von Videos beschlagnahmt. Eine verschwundene Ladung Fernsehapparate haben die Ermittler nie gefunden. Dafür aber 335 Kilogramm Kokain.

Auch die Zukunft des Kanals ist neoliberal. Die von den USA hinterlassenen Anlagen werden privatisiert. Die beiden Häfen an Pazifik- und Atlantikseite hat sich eine Firma aus Hongkong gesichert. Konservative Republikaner im Senat in Washington sehen deshalb rot: Kommunisten kontrollieren den Kanal. Die Sorgen sind nicht berechtigt. In einem Zusatz zum Carter-Torrijos-Vertrag von 1977 wird den USA ein Interventionsrecht für den Fall eingeräumt, dass die Neutralität der Wasserstraße gefährdet ist. Die Beurteilung der Lage wird allein der Regierung in Washington überlassen.

Die Gringos können kommen. Nur ihr Anfahrtsweg wäre etwas weiter.

Toni Keppeler, 43, seit drei Jahren taz-Mittelamerikakorrespondent, lebt in Mejicanos, El Salvador