Die freche Vermischung aller Religionen

„Soul of Africa“ ist ein faszinierender Bildband über Magie und Hexerei, der das Fremde mit ethnologischem Blick dokumentiert, ohne es zu überhöhen. Eine Buchbesprechung

„Einblicke in die zeremonielle Aura afrikanischer Naturverbundenheit ... lassen den Leser an den Ursprüngen afrikanischer Religiosität – an diesem faszinierenden Kompendium der geheimen Mächte – teilnehmen.“ Ich gestehe, nach diesem Satz gezögert zu haben, den neu erschienenen Bildband „Soul of Africa“ überhaupt zu lesen. Und dieses Zögern hat nichts damit zu tun, dass ich es vielleicht als unmoralisch erachtete, ein 500-seitiges Werk über die magischen Gebräuche eines ansonsten vergessenen Kontinents reißerisch aufzumachen. Wirklich gestoßen habe ich mich vielmehr an dem Wort „teilnehmen“.

Als ich nach einer langen und entbehrungsreichen Fahrt durch Sahara, Niger und Burkina Faso endlich bei meinem ghanaischen Freund Thomas vorrollte und ihm erleichtert um den Hals fallen wollte, sah ich ihn bar aller Wiedersehensfreude vertieft in das Zahlenwerk, das mein Auto für ihn offensichtlich darstellte. Das Nummernschild in seiner Kombination von Lettern und Ziffern hatte es ihm angetan. Auch danach blieb er kaum ansprechbar, verbrachte mehrere Nächte mit dem Studium der Bibel und erging sich höchstens in Andeutungen.

Dann plötzlich, nach Tagen, war er wie ausgewechselt, hieß mich freudestrahlend willkommen, hielt fortwährend meine Hand und beteuerte immer wieder, wie sehr er sich freut, mich in Ghana zu sehen. In seiner winzigen Bleibe eröffnete er mir schließlich, was seine Bibelstudien ergeben hatten: Ich sei in einer geheimen Mission in Ghana, die eine enge Verbindung zwischen meinem und seinem Stamm knüpfen werde. Meine Einwände beantwortete er mir mit „Beweisen“: Akribisch hatte er alle Zahlen und Buchstaben, derer er an meinem Wagen habhaft geworden war, Kapiteln und Versen des alten wie neuen Testamentes zugeordnet. Aus den Versfragmenten fügte er neue Sätze zusammen, filterte „Botschaften“ heraus. „Teilnehmen“ an Thomas’ Spiritualität, die sich aus einem Konglomerat ältester und jüngster Bräuche und Riten herzuleiten scheint, kann ich nicht.

Die Fremdheit Afrikas erschließt sich unserem Intellekt nur bedingt. Die teilnehmende Beobachtung erhellt mir weniger die Eigenheit des Fremden als die Fremdheit des Eigenen.

Zwischen den Klappen des Buches jedoch findet sich zu meiner hellen Freude anderes, als der Klappentext vermuten lässt. Der Fotograf, Ethnologe und Sammler Henning Christoph hat Westafrika zu seiner „zweiten Heimat“ erklärt. Dies mag erklären, warum die Fallbeispiele für Initiationsriten, Zauber und Ahnenkulte, die laut Klappentext „das Land südlich der Sahara“ behandeln sollen, weitgehend auf Ghana und seine Umgebung begrenzt sind. Ein erfreulicher Umstand, denn schon jetzt ist die Fülle fast erdrückend.

Die Übersichtlichkeit des Buches macht es aber zu einem regelrechten Nachschlagewerk, wenn ich mir auch über das Glossar hinaus ein Suchwortregister gewünscht hätte. Die Texte bedienen sich einer ethnologischen, dennoch verständlichen Sprache. Die wissenschaftliche Herangehensweise der fünf Autoren – fast durchweg Ethnologen – bringt sie nie in Versuchung, der kitschigen Überhöhung des Fremden nur seiner Geheimnisse wegen zu erliegen. Ausgehend von einer Beschreibung afrikanischer Gemeinschaften, ihrer Lebensweise und Bräuche, schaffen sie eine Grundlage, auf der die religiösen Vorstellungen, Hexerei, Magie und Heilkunde verständlicher werden.

Ich wüsste kein Buch, das auf übersichtliche Weise so viel Material zum Thema in sich vereint. Das afrikanische Pantheon steckt voller Trickser, institutionalisierter Spielerei, spielerischem Umgang mit den Institutionen. Und überall die Überblendungen, die freche Vermischung aller greifbaren Kulturgüter und Religionen, des Alten mit dem Neuen, um sie passend für die eigene Handhabung zu machen. Exemplarisch sei hier die vodun-Gottheit Mami Wata genannt. Ihr Pidgin-Name bezeichnet die Mama des Wassers. Den Galionsfiguren der ersten an der Guineaküste gelandeten Europäer nachempfunden, ihre helle Haut aber auch vergleichbar der einer afrikanischen Wasserleiche, verbindet Mami Wata traditionelle vodun-Gottheiten, die für Wasser und materiellen Reichtum stehen, mit christlichen, hinduistischen, buddhistischen und sogar astrologischen Elementen. Heraus kommt eine metropolitane Göttin, der es entgegen den autochthonen Gepflogenheiten nicht um Gemeinsinn, sondern um individuelles Glück geht. In einer Verbindung von Geld und Sex steht sie – ausgestattet mit unwiderstehlichen Reizen – für das schnelllebige, atomisierte, wankelmütige Stadtleben. Illustriert werden solche Ausführungen mit Bildern, die den Texten die Trockenheit nehmen und mir plötzlich die Gerüche, Geschmäcke und Geräusche, die ungeheure Farbigkeit und Intensität sinnlich erfahrbar machen.

Fazit: ein faszinierendes Buch, das ich sowohl Afrikaerfahrenen wie -unerfahrenen anempfehlen kann. Ich jedenfalls wünschte, damals, als ich zum ersten Mal dorthin aufbrach, dieses Buch schon besessen zu haben. Über den irreführenden Klappentext lässt sich da leicht hinwegsehen. Wie der Könemann-Verlag für dieses Buch einen so sensationell niedrigen Preis (29,90 DM) verlangen kann, bleibt mir ein magisches Rätsel.Andreas KirchgäßnerHenning Christoph, Klaus E. Müller, Ute Ritz-Müller: „Soul of Africa – Magie eines Kontinents“. Könemann-Verlag, Köln, 500 Seiten, geb., 29,90 DM