Das Millennium der Schnarchtüten ■ Von Ralf Sotscheck

Nein, der Millennium-Rummel ist noch nicht vorbei. Eine Woche nach Silvester lamentieren die Iren noch immer über ihr Jahrtausend-Desaster. „Blamiert vor aller Welt“, winseln die Zeitungen, und der Journalist Matt Cooper schreibt: „Unser reiches, kleines Land ist von kleineren, ärmeren Ländern beschämt worden.“

Dabei dachte man, dass niemand so gut feiern könne wie die Iren. Am Silvestermorgen noch machten sie sich über die Engländer lustig, die an der Themse ein Riesenrad aufgestellt hatten, es am Abend aus Sicherheitsgründen aber nicht einweihen konnten. Das Lachen blieb den Iren freilich im Halse stecken, als abends ihre eigene Feier begann.

Mittelpunkt des irischen Millennium-Spektakels sollte der Merrion Square sein, berühmt für seine georgianischen Türen und das Elternhaus von Oscar Wilde. Der Platz war weiträumig abgesperrt, wer hinein wollte, wurde nach Alkoholika gefilzt, denn es sollte eine trockene Feier werden. Dazu passte der Festredner ganz vorzüglich: Der farblose Premier Bertie Ahern las seine kurze Ansprache mit Begräbnisstimme vom Blatt ab, ohne einmal aufzublicken. „Der gewählte Führer der Nation ist trocken, leidenschaftslos und gefühlsarm“, notierte die Sunday Tribune entsetzt, als ob sie das erst Silvester bemerkt hätte, und fügte hinzu: „Jedes gottverdammte Dorf in England hatte eine bessere Feier als wir.“

Auch außerhalb des Merrion Square blieb es recht trocken. Im März hatte die Regierung zunächst verkündet, die Sperrstunde würde aufgehoben, die Kneipen sollten bis acht Uhr morgens offen bleiben. Im Oktober hatte man es sich anders überlegt, Zapfenstreich sollte vorsichtshalber schon um halb zwei sein. Weil aber die Barleute für die Silvesternacht Fantasielöhne forderten, machten die meisten Kneipen gar nicht erst auf.

Als ob die Stimmung nicht schon mies genug war, gab das irische Staatsfernsehen RTE dem müden Treiben dann den Rest. Es war die längste Sendung, die RTE jemals ausgestrahlt hatte. Den Zuschauern kam sie freilich noch weitaus länger vor, denn was der Sender an einheimischen Schnarchtüten vor die Kamera zerrte und sie über ihre belanglosen Lebensläufe schnattern ließ, war so grotesk, dass man zunächst an eine Satiresendung glaubte.

Auch das Einschalten der Lichter auf den Liffey-Brücken war langweilig genug, aber selbst das ging dem Staatssender daneben. Weil niemand daran gedacht hatte, dass es eine Weile dauert, bis die Lampen aufgewärmt waren und zu leuchten begannen, musste RTE eine Konserve der Generalprobe zeigen. Schade, dass man keine Konserve von einem Feuerwerk parat hatte, denn die vier müden Raketen, die jede Stunde abgeschossen wurden, kamen nicht über den vierten Stock der umliegenden Häuser hinaus. Lediglich ein kurzer Lichtschein war zu sehen, ein dezentes „Piff“ zu hören.

Dann wurde es doch noch Mitternacht, und wer vor dem Fernseher noch nicht eingeschlafen war, musste Pat Kenny ertragen, dessen Karrierehöhepunkt die Moderation des Eurovisions-Schlagerwettsingens war. Es schlug zwölf, das neue Jahrtausend brach an, und RTE zeigte Pat Kenny, der sich im trostlosen Studio alles Gute für die Zukunft wünschte. Eine Beförderung nach Timbuktu vielleicht?