Aufgesetzte Schönheit

Mara-Cassens-Preisverleihung an John von Düffel für sein leicht unterdurchschnittliches Romandebüt „Vom Wasser“  ■ Von Ralf Poerschke

Manche Bücher sind derart überschätzt, dass es einem in der Seele wehtut, wie Preisgeld über Preisgeld an sie verschwendet wird. Vom Wasser heißt der Debütroman des angehenden Thalia-Theater-Dramaturgen und bis dato nur als Schreiber witziger Stücke in Erscheinung getretenen John von Düffel, und dessen Geschichte beginnt in Klagenfurt. Am Inge- borg-Bachmann-Wettbewerb 1998 nahm der Autor mit einem Kapitel daraus teil, und da dort ausschließlich Unveröffentlichtes vorgetragen werden darf, leistete sich der Kölner DuMont-Verlag im Vorwege die vermarktungstechnisch freilich raffinierte Extravaganz, den Roman als Rezensionsexemplar, um besagtes Wettbewerbs-Kapitel bereinigt, schon mal zu verschi-cken. Nicht ohne auf Klagenfurt zu verweisen, versteht sich.

Vorgeschlagen worden war der 33-Jährige vom Jury-Mitglied Thomas Hettche, seines Zeichens Lektor bei DuMont, und nun fragt man sich natürlich, wie es dem Autor wohl gelingen konnte, trotz des massiven Vorwurfs der Kunstgewerblichkeit den dritten, den Ernst-Willner-Preis (14.000 Mark) einzuheimsen. Eine Reihe jublerischer Kritiken zog den „aspekte“-Literaturpreis 1998 (15.000 Mark) nach sich, und heute erhält John von Düffel auch noch den mit satten 20.000 Mark dotierten Mara-Cassens-Preis, was eine 15-köpfige Jury aus Mitgliedern des Hamburger Literaturhaus-Vereins so entschieden hat. Nun soll aber nicht der Eindruck erweckt worden sein, es handele sich bei Vom Wasser um einen schlechten Roman – es handelt sich lediglich um einen leicht unterdurchschnittlichen.

John von Düffel erzählt darin die Genealogie einer Papiermühlenbetreiberfamilie aus der Perspektive ihres letzten Sprosses. Auf nicht einmal 300 Seiten wird die Distanz zwischen der Betriebsgründung durch den Ururgroßvater an den niedersächsischen Flüssen Orpe und Diemel, bei ganz softer Abhandlung zweier Weltkriege, und dem Abriss des alten Herrenhauses in der Gegenwart mit konzentrierter Ruhe überwunden. Aber der Erzähler hat auch noch eine eigene Geschichte, und diese Rahmen- ist fatalerweise ungleich schwächer als die Binnenhandlung: Von seiner Lebensabschnittsbegleiterin hört er, dass ihr letzter Freund, den sie für ihn verlassen hat, beim Abschied sagte: „Wir kehren immer zum Wasser zurück.“

Dieser eine Satz ist dem Erzähler Anstoß und Leitmotiv für ebenjenes Buch Vom Wasser, an dessen Ende er ebenfalls von der Frau verlassen wird – und sich in einem Schwall der Erkenntnis zum Wasser zurückgekehrt wähnt. Diese mythisch-metaphysischen Einsichten in das Wesen des Wassers trägt von Düffel immer wieder exkursartig an den Leser heran: Es sind poetische Schilderungen von dessen Konsistenz und Farbe, es sind Beschreibungen von Fischfang und Lang-streckensschwimmen, und diese Passagen sind die stärksten des Buches, während die eigentliche Handlung eher zäh dahinfließt und bei ihrer tendenziellen Detailversessenheit enorme Unwahrscheinlichkeiten aufweist, die mitunter ärgern.

Dabei verzichtet von Düffel so gut wie völlig auf Dialoge, seine Figuren bleiben so namenlos wie letztlich im Charakter unscharf, wie aus großer Entfernung beobachtet, oder vielleicht besser: unbegreifbar. Und da meint man, einem mittlerweile recht erfolgreichen, vielgespielten Theaterautoren zuzuhören, der in der Form des Romans zuallererst das andere sucht – und, indem er Gefallen daran findet, es auch gleich gerne übertreibt. Nicht ausbleiben kann es da, dass die Sprache mit Macht in den Fokus seiner Aufmerksamkeit rückt, und er behandelt sie gänzlich ironiefrei und ohne Scheu vor lyrischen Allgemeinplätzen, ostentativ langen Sätzen, märchenonkeligen Wiederholungen (die wohl rhythmisch gemeint sind) und immerfort Alliterationen.

Letztere neigen zu unangenehmen Wucherungen: Wenn das „lustige, listige“ Gesicht des Ururgroßvaters „helle, höhnische“ Augen besitzt, wenn von „sich schlängelnden Stromschlaufen der schwimmenden Schnur“ die Rede ist, vom „forellen-frischen Flußgeruch“, vom „feinen, festen Fleisch“ oder gar jemand „für Führer, Volk und Vaterland ins Feld“ zieht, möchte man am liebsten weglesen. Doch zwischendrin schreibt John von Düffel wiederum Sätze, die jenseits der dominierenden gewollten, aufgesetzten Schönschreiberei tatsächlich schön sind. Und da er seine Stilmittel, so fragwürdig sie auch sein mögen, so selbstbewusst und konsequent in Anschlag bringt, und da er bei allen Schwachpunkten in der Handlung seinem eigentlichen Thema, dem Wasser, so besessen nahe bleibt, ist Vom Wasser an sich kein wirklich schlechtes Buch. Aber eben längst kein preiswürdiges.

Mara-Cassens-Preisverleihung, heute, 20 Uhr, Literaturhaus, im Anschluss Lesung; John von Düffel: „Vom Wasser“. Roman. DuMont, Köln 1998, 288 Seiten, 39,90 Mark