Grünes Leuchten

Die „Kommode“ zeigt ein pyramidales Projekt. Wird die Licht-Raum-Plastik „Wahrzeichen Reichstag“ eines Nachts über dem Parlament strahlen? ■ Von Aureliana Sorrento

Christo und Jeanne Claude haben 24 Jahre lang gewartet, bevor sie den Reichstag verhüllen durften. Dabei war das Werk in jedem Augenblick seiner Entstehungsgeschichte gefährdet – und das für bloß zwei Wochen Alu-Beschichtung. Sollte sich Wolfgang Heinrich Fischer ebenso lange bis zur Realisierung seines Reichstagswerks gedulden müssen, würde das Gebäude, das Künstlerseelen offenbar berückt, im Jahre 2011 einen beständigen Kunstzierat erhalten. Der allerdings wird nur nachts sichtbar sein. Denn Herr Fischer will Sir Norman Fosters Kuppel – selbst ein Muster künstlerischer Geduld – mit einer gigantischen, der Cheopspyramide nachgebildeten Lichtfigur aus grünen Laserstrahlen überbieten. Diese soll, von Projektoren auf den Ecktürmen des Reichstags erzeugt, über dem Abgeordnetensitz schweben.

Da Laserlicht einen sehr hohen Strahlungsfluss hat, erläutert Herr Fischer mit wissenschaftlicher Akribie, wird sich vom Kreuzungspunkt der Strahlen eine zweite, offene, umgedrehte Lichtpyramide erheben, deren Schenkel den Himmel durchstechen. Der Himmel über Berlin musste schon für einiges herhalten – so unmittelbar mit dem Himmel über Giseh verglichen zu werden, war ihm jedoch noch nicht vergönnt.

Was es mit dieser künstlerischen Weltensynthese für eine Bewandtnis hat, kann man jetzt in der „Kommode“, einem XX-Gebäude der Humboldt-Universität, erfahren. Dort hat Wolfgang Heinrich Fischer den Werdegang seines Reichstagsprojekts auf Plakaten dokumentiert und ein Modell des künftigen Werks installiert.

Von der Cheopspyramide sollte das „Wahrzeichen Reichstag“ (so der Name des ungeborenen Kunstkindes) nicht nur den Neigungswinkel übernehmen, sondern auch die allumfassende, wissenschaftlich gestützte Symbolik. Der Winkel der Cheopspyramide, so Fischer, spiegele nämlich die Raum- und Zeitkoordinaten des Planeten Erde wieder; ihre Höhe wiederum entspreche einem Zehntel der Gravitationslänge der Sonne. Überhaupt weise sie die Dimensionen des goldenen Schnitts auf, die man bei Pflanzen, Tieren und im menschlichen Körper vorfinde. So symbolisiere die Cheopspyramide – und in deren Schlepptau also auch das Reichstagslichtwerk – die Harmonie der Welt.

Die grüne Farbe der Laserstrahlen hat Fischer durch „Oktavierung“ aus dem Jahresrhythmus der Erde hergeleitet. „Die 34. Oktave ist bei 555 Billionen Hz (= 540 nanometer) als hellgrünes Licht sichtbar“, lässt er in einer eigens verfassten Broschüre einen Wissenschaftler bescheinigen. Mit dem gleichen Verfahren ermittelte Fischer aus dem Jahresrhythmus der Erde den Ton Cis, aus der Gravitationslänge der Sonne den Ton H. Deshalb sei der „Sonnenton H“ die „Klangschnittstelle“, um welche die eigens von György Ligeti, Wilhelm Dieter Siebert und Lothar Voigtländer komponierten Musikstücke zum „Wahrzeichen Reichstag“ kreisten. Des Nachts würden sie hörbar sein und den zufällig Vorbeistreifenden, im Einklang mit dem Lichtwerk, zum Sinnieren bringen: über die Harmonie der Welt, über die Bewahrung der Schöpfung auf der Erde, über die demokratischen Freiheiten, über die Gerechtigkeit und die deutsche Geschichte.

Trotz seines ägyptischen Vorbilds soll man das Lichtwerk als Einheit mit dem Steinhaus der Volksvertreter sehen. Ist dieses Gebäude, das Wilhelm II. „Reichsaffenbau“ nannte und Nazi-Schergen in Brand steckten, nicht selbst Wahrzeichen und Mahnmal der deutschen Demokratie? Man solle sich also nur vorstellen, was für eine erhebende, beseelende und geschichtserziehende Wirkung eine über den Reichstag flimmernde Lichtpyramide auf den nächtlichen Spaziergänger haben könnte. Bestimmt, ist Fischer überzeugt, würde sie ihn an Speers Lichtdome gemahnen, während die vier Seiten der Pyramide ihm folgerichtig die vier Sektoren des nachkriegsgeteilten Berlin ins Gedächtnis rufen würden. Dann, durch die vier in die Höhe strebenden Laserstrahlen angeregt, käme er auf das indogermanische Stammwort „reg“, aus dem die Wörter „Recht“ und „Gerechtigkeit“ stammen.

Auch die Touristenströme sollte man bedenken, die eine derartige Attraktion nach Berlin ziehen würde. Der Berliner Gastronomie verspricht Wolfgang Heinrich Fischer blühende Landschaften. Allerdings gibt es einen Haken: Die eigentlichen Benutzer des Reichstagsgebäudes, die Herren Abgeordneten, zeigten sich bisher wenig geneigt, Fischers Werk ihren Segen zu erteilen. Obwohl dieser dank eines schon bestehenden Fördervereins die Kosten der Realisierung zu übernehmen verspricht. Die Erfahrung besagt indes, dass der Widerstand von Volksvertretern in Hinblick auf Reichstagskunst mit Ausdauer zu brechen ist. Fischer braucht also nicht zu verzagen. Andererseits besagt die Erfahrung auch, dass Abgeordnete, geht es um ihr Haus, manchmal Korrekturen wünschen. Und wenn sie von Herrn Fischer verlangten, dem Reichstagshimmel statt einer Pyramide die Zickzackform einer babylonischen Tempelanlage zu verpassen?

Bis zum 31. 1., Kommode, Bebelplatz, Eingang Unter den Linden 9