Männer, Kenner, Frauenfänger

Verführen mit Jazz: Joseph von Westphalen gibt auf vier CDs Tipps für Swinger – eine gesunde Abneigung für Bigbands inklusive

Noch bis ins Booklet bemüht sich Westphalen, den Text mit der Tonspur kurzzuschließen

Männer auf verlorenem Posten, hergehört! „Wie man mit Jazz die Herzen der Frauen gewinnt“, hat der Schriftsteller Joseph von Westphalen herausgefunden und zur Beweisführung eine so betitelte Edition vorgelegt: Drei CDs mit Musik, eine weitere mit musikgestützter Vorleserei sowie ein 180 Seiten starkes Booklet. Es fängt beim „West End Blues“ von Louis Armstrong an, scheppert quer durch zwei Dekaden Swing und reicht mit Ach und Krach bis an die Bebop-Schwelle – die ganzen schweren Jahre nach 49 aber bleiben bis auf zwei klitzekleine Ausnahmen ausgesperrt.

Die Verfügungsgewalt über die Musikauswahl lag allerdings mitnichten bei Westphalen, sondern bei Harry von Duckwitz, Hauptfigur seiner Schelmenromane „Im diplomatischen Dienst“, „Das schöne Leben“ und „Die bösen Frauen“. Diese Trilogie hat seit 1991 zahlreiche Leser und nachweislich nicht wenige Leserinnen erobert – und das trotz der vielen Jazzmusik, die darin vor- und über Dizzy Gillespie nun mal nicht hinauskommt. Doch der Autor hat seinem Helden nicht bloß einen Fimmel für Jazz und ein Faible für Frauen mitgegeben, sondern ihm auch die Besessenheit eingeimpft, auf beiden Gebieten zu reüssieren. Also akkumuliert der abgebrochene Rechtsanwalt über mehr als 1.000 Seiten hinweg ein ansehnliches Vielfrauenimperium und kann sich auch bei den 26 Versionen von Ellingtons „Caravan nie für eine beste von allen entscheiden.

Für Westphalen bedeutete die Herausgabe des Roman-Soundtracks die einmalige Chance, diese beiden Stränge noch enger zu verknüpfen. Zudem lachte ihm das Glück, dass sein Papiertiger Duckwitz zwar dann und wann auch Dylan, Janis Joplin und die Stones auflegt, ganz überwiegend aber Jazz aus der Abteilung Altherrenmusik, die mit dem Urheberrecht nicht mehr kollidieren kann: Aufnahmen, die vor 50 und mehr Jahren eingespielt wurden, sind lizenztechnisch leicht und kostengünstig verfügbar. Und so kommen hier halt King Oliver, Count Basie, Artie Shaw und andere gekrönte Oldtime-Häupter zum Zug. Immerhin hat Duckwitz eine gesunde Abneigung gegen Bigbands, bringt lieber (und gleich fünfmal) den wunderbaren Bassisten Oscar Pettiford, auf den sich ein Charlie Haden noch heute beruft, ins Spiel und streut gegen zu viel Schmiss barmherzig da ein wenig Mozart und dort ein bisschen Schubert ein.

Im Booklet war Westphalen fleißig bemüht, den Text mit der Tonspur kurzzuschließen (auf CD 4 auch als Spoken word-Entertainer). Statt seine „Stellen“ zwanghaft mit musikhistorischen Anekdötchen zu garnieren, zitiert er einschlägig aus den Romanen und tischt, wo es nur geht, previously unissued Material aus nachmalig gestrichenen Manuskriptpassagen auf: eine durchaus jazzige Marotte. Und nur ganz selten wirken die Querverweise des Connaisseurs wie eine künstliche Beatmung der Musik. Wenn der Fan in Westphalen auf seinem Weg vom Hundertsten ins Tausendste ein paar offene Türen einrennt, kann man ihm gern verzeihen.

Trotz allem ist und bleibt mir Jazz aus der Gassenhauer-Ära suspekt. Und Westphalens virtuose Spitzbuben-Prosa wirkt irgendwann doch sehr auf Masche getrimmt. Dennoch gehört er unbestreitbar zu den ganz wenigen deutschsprachigen Schriftstellern, die ein musikalisches Thema glaubwürdig zu gestalten wissen. Dass Duckwitz nicht eher Ruhe gibt, bis er in Don Byas’ 1945er-Instrumentalversion von „You call it madness, but I call it love auf die einzig wahre Deutung dieser Zauberformel stößt, spricht Bände. Und wenn er mit Rubberlegs Williams plötzlich zum ersten Mal einen Mann den Empty Bed Blues singen hört, so haut das einen Joseph von Westphalen eben aus den Socken.Andreas Schäfler

Joseph von Westphalen: „Wie man mit Jazz die Herzen der Frauen gewinnt“. 286 Minuten Musik und Mundwerk auf vier CDs plus Begleitbuch, Kein & Aber Rec., 69 DM. Die Duckwitz-Romane gibt es bei dtv.