China, Sonderwirtschaftszonen, Global Cities etc.
: Chan wird Bond

Zen oder die Kunst, einen Krieg zu führen: Wohin wird China im Zeichen des Drachen wachsen? Eine Science-Fiction-Story

China im Jahr 2030. Nachdem die Handys der 2K-Generation im pupil recreaction yard zum Pausenende geklingelt haben, stürmen die Kinder lärmend ins Klassenzimmer. Der ebenso aufgeweckte wie unbeliebte Bub, von dem alle behaupten, dass die Eltern Mathematiklehrer, Literaturwissenschaftler oder etwas ähnlich Schlimmes sind, ist wie immer der letzte. Heute will er die Lehrerin fragen, wer denn Cäsar war. Atemlose Stille! Nur in der letzen Reihe ein gequältes Aufstöhnen von dem Jungen, der das Langnase-und-Chinese-Spiel durch ein kompliziertes Regelwerk nach dem Ausruf „Peng, Peng! Du bist tot!“ zu neuen Qualitäten geführt hat.

Die Lehrerin, eine überforderte Mitvierzigerin aus der Hunni-Zeit, als die Jahreszahlen noch mühselig aufgezählt wurden, neunzehnhundertneunundsiebzig oder so geboren, ist von dem Ansinnen des Kleinen zu Tränen gerührt. „Ach Cäsar! Ach, De Bello Gallico!“, denkt sie. „Ach, Hundefutter!“, denken die Schüler über ihre chinesischen Schriftzeichen gebeugt.

Zum chinesischen Neujahr im Februar 2000 begann das Jahr des Drachen. Aus politischen Gründen wurde es in der ersten Hälfte des neuen Jahrtausends um ein paar Jahrzehnte verlängert, denn die Zukunft ist chinesisch. Denken die Vorstandsmitglieder der multinationalen Konzerne, wenn der Vertriebschef am Flip-Chart mit vor Aufregung geröteten Wangen wieder einmal vorrechnet, wie toll das ist mit China: Ein-Kind-Politik hin oder her, wenn in den nächsten zehn Jahren nur jeder fünftausendste Chinese einen BMW kaufen würde, könnten 280.000 Fahrzeuge im Land des Drachen abgesetzt werden. Das ist viel. Deswegen hat BMW zur Jahrtausendwende begonnen, ein Autohaus nach dem anderen in China zu bauen und im Jahr 2010 Jackie Chan aus seiner Hollywooddepression geholt, um ihn als neuen James Bond unter Vertrag zu nehmen. Die Zukunft ist chinesisch, denkt auch der Junge in der letzten Reihe und schießt dem Sohn eines Literaturwissenschaftlers einen Papierball in den Nacken, um ihm das auch körperlich klar zu machen.

Die verschärften Regeln des Langnase-und-Chinese-Spiels hat er von den seit Jahren wuchernden Websites der Wargame-Gemeinde, die sich gerade in Hongkong größter Beliebtheit erfreut. Wargames sind Kriegsspiele unter realistischen Bedingungen mit dem kleinen Abzug, dass die Airball-Kugeln nur blaue Flecken auf der Haut und keine großen Löcher in die Fantasieuniformen der Combat-Teams reißen.

Die Kampfverbände rekrutieren ihre Mitglieder aus den Managementetagen der Banken und Handelshäuser, denn die felderprobte Ausrüstung ist nicht billig und das Training mit der Nase im Dreck unter gebrüllten Kommandos auch nicht umsonst. Am Wochenende robben die Angestellten dann durch die Naturschutzgebiete der New Territories, um der Gegnergruppe mit lasergesteuerten Hochgeschwindigkeitsluftgewehren den Garaus zu machen.

Kacey Wong, der Anführer des Siegerteams der „Hong Kong Open Wargame Competition“, Force Five, betrachtet das Kriegsspiel als eine Kunst, eine Kunst des Krieges. Er selbst leitet Parasite, eine der wenigen zeitgenössischen Galerien in Hongkong. So versucht der Dreißigjährige Kunst und Krieg zusammenzuführen, philosophisch irgendwie. Es gehe ihm nicht allein um den Sieg, sondern auch darum, den Gegner zu verstehen und ihn mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Zen oder die Kunst, einen Krieg zu führen.

Womit wir wieder bei Cäsar wären. „Gallia est omnis divisa in partes tres“, erinnert sich die Lehrerin an den Anfang des „De Bello Gallico“. Mit dem Kleinen Latinum hat es für Cicero nicht gereicht, und auch der zweite Satz aus dem großen Werk über heimische Kriege und fremde Kulturen will ihr nicht in den Sinn kommen. „Hi omnes lingua, institutis, legibus inter se differunt“ würde der lauten. Doch da spielen die genervten Mitschüler mit dem Sohn eines Mathematiklehrers schon Langnase-und-Chinese im Klassenzimmer.

Thomas Sakschewski