■ Der Papst sitzt seit über zwei Jahrzehnten unangefochten auf dem Heiligen Stuhl. Karl Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, hat ihm nahe gelegt, zu gehen: „Allein Gott führt mich“
Den Rücktritt von Papst Johannes Paul II. habe er nicht gefordert, sagte der Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann, gestern. Im Gegenteil: Er habe in den letzten Wochen und Monaten die „außerordentliche Geistesgegenwart“ und die „hohe Einsatzkraft“ des Papstes erfahren. Aber Lehmann vergaß in seinem Dementi nicht, hinzuzufügen: Falls Karol Wojtyla nicht mehr in der Lage wäre, verantwortlich die Kirche zu lenken, traue er „gerade diesem Papst“ zu, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
In Italien hat die vermeintliche Rücktrittsforderung des deutschen Oberhirten vom Sonntag (siehe Kasten) einige Wellen geschlagen. Nahezu alle Gazetten berichten auf der Titelseite. Allerdings ist die Geschicht nur la Repubblica einen Aufmacher wert. Einen Kommentar aus redaktioneller Feder leistet sich niemand. In der Repubblica schimpft nur Gastkommentator Furio Colombo, seit Jahren für antideutsche Ausfälle bekannt, auf die „Brutalität, mit der Lehmann den Papst auf seine Hinfälligkeit hingewiesen hat“. Er hat das Originalinterview offensichtlich nicht gelesen.
Gerüchte über einen Rücktritt von Papst Johannes Paul II. sind nicht neu. Zum ersten Mal kamen vor fünf Jahren entsprechende Berichte auf. Damals ließ sich die Schüttellähmung des Papstes nicht mehr verheimlichen. Der Oberhirte über eine Milliarde Katholiken stürzte bei allen möglichen Gelegenheiten und brach sich mal den Arm, mal das Schlüsselbein.
Von einem Rücktritt zum 75. Geburtstag war damals die Rede – als Beispiel vielleicht auch für künftige Nachfolger Petri oder auch, um möglichst selbst noch die Weichen für den „Neuen“ so zu stellen, dass die Kontinuität im Rollback der römischen Theologie, die Karol Wojtyla so trefflich verkörperte, bis weit ins 21. Jahrhundert gesichert wäre. Seit sich Johannes Paul II. im Jahr danach mehreren Operationen unterziehen musste, begannen nicht nur Zeitungen, sondern auch zahlreiche Prälaten „ihre“ Kandidaten zu lancieren: Kardinal Carlo Maria Martini, liberaler Kirchenfürst aus Mailand, war seit Anfang der Kampagne ebenso dabei wie sein erzkonservativer Gegenspieler aus Bologna, Kardinal Biffi. Dazu ein ganzes Bündel nichtitalienischer Prätendenten, auch solche von außerhalb Europas. Evaristo Arns aus San Paolo zum Beispiel, ein den Fortschrittlichen zugerechneter Hirte, dem die reaktionären Kreise den Kardinal Lucas Moreira aus San Salvador entgegenstellten. Als Ausweichkandidat profilierte sich der Kolumbianer Alfonso Lopez Trujilio. Gar nicht so schlechte Karten hatten lange Zeit auch die Afrikaner: Christian Wiygan aus Kamerun etwa oder der Nigerianer Francis Arinze.
Wählbar sind sie nach kirchlichem Recht alle noch. Nur sind die Chancen, vor allem für die Jüngeren unter ihnen, inzwischen gesunken. Eine jahrhundertelange Tradition der Papst-Abfolge will es, dass nach einem langjährigen Pontifikat ein Amtsinhaber bestimmt wird, dessen Lebenserwartung nicht allzu hoch ist. Er soll die Weichen für eine neue, jahrzehntelange Konsolidierungsphase stellen. Wie 1958, als Pius XII. nach 19 Jahren Amtszeit verstarb und man den schon 77-jährigen Giuseppe Roncalli (Johannes XXIII.) wählte – der in der Tat nach nur fünf Jahren Amtszeit verschied. Dass 1978 nach Paul VI., der 15 Jahre auf dem Heiligen Stuhl saß, der junge Kardinal Karol Wojtyla aus Polen Papst wurde, hing damit zusammen, dass mit dem unmittelbaren Nachfolger Pauls VI., Johannes Paul I., die böse Erfahrung gemacht wurde, dass die Amtszeit eines älteren Nachfolgers schnell enden kann – in diesem Fall nach nur 33 Tagen. (Es hält sich allerdings das Gerüchte, er sei keines natürlichen Todes gestorben).
Nach der Tradition des jung – alt –jung wäre nun wieder ein älterer Kardinal dran. Das lässt unversehens die Chancen der Italiener steigen, die noch vor fünf Jahren auf verlorenem Posten schienen. Die Wahl eines Nichteuropäers nämlich gilt bis heute vielen Bischöfen als so epochaler Schritt, dass dafür ein Kurzzeitkandidat nicht in Frage kommen kann: inzwischen aber haben die noch vor fünf Jahren als „jung“ qualifizierten Kandidaten wie Biffi oder Martini ein Alter erreicht, das sie in die Reihe der „Übergangskandidaten“ stellt.
Von ihnen ist zwar eine Abnabelung vom Wojtyla-Denken zu erwarten, aber keine dauerhafte Okkupation aller Posten und Doktrinen wie unter Johannes Paul II. zu befürchten. Martini hat bereits präzise Signale ausgesandt – er würde im Falle seiner Wahl, ähnlich wie Johannes XXIII., erneut ein Vatikanisches Konzil abhalten, um die verhärtete Theologie Wojtylas mit großem Bischofskonsens zu überwinden.
Dennoch bleibt für die meisten Vatikanologen und vor allem die italienische Presse die Frage: Warum hat ausgerechnet der Chef der Deutschen Bischofskonferenz, Lehmann, die Gerüchteküche um einen Rücktritt Wojtylas angeheizt? Rache für die Deckelung der deutschen Bischöfe in Sachen Abtreibung? Oder ist es der Versuch, den ungeliebten deutschen Bruder am päpstlichen Hof, den Chef der Glaubenskongregation Kardinal Ratzinger, auszuhebeln, bevor es diesem gelingt, sich rechtzeitig einen Nachfolger auszusuchen? Denn nach einem plötzlichen Tod seines Gönners ist die übliche Konfusion unter den wahlberechtigten Kardinälen zu befürchten. Lehmann könnte auch nur eine logische Schlussfolgerung gezogen haben: etwa aus der überraschenden Ankündigung, der Papst wolle eine für später geplante Reise an die biblischen Stätten in Ägypten schon auf Februar und März vorziehen.
Wie dem auch sei: Das Wespennest, in das er gestochen hat, summt und brummt und braust und gebiert nun täglich neue Gerüchte – etwa jenes, das die offizielle Ankündigung des Rücktritts just für Ostern vorsieht. Vor oder nach dem weltweit in Milliarden Haushalte übertragenen Segen „Urbi et orbi“ und vielleicht direkt aus der Geburtskirche Christi.
Der Papst aber will nicht ablassen. Als Antwort auf Lehmann soll er gestern bei einem Empfang vatikanischer Diplomaten gesagt haben: „Gott verlangt nie etwas von uns, was über unsere Kräfte geht. Er selbst gibt uns Kraft, das zu vollenden, was er von uns verlangt.“ Werner Raith, Rom/tde
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