Bezichtigung:
1999 war Dieter Dorn sehr zornig. Seit Montag kann man den spröden Theatermann wieder lachen sehen. Als ihn die Stadt München nach 16 Jahren Kammerspielleitung „meuchelte“ (FAZ), mochte er selbst auf Meister Peymanns Wunsch hin nicht ans DT an die Spree. Und auch Peter Eschbergs Frankfurter Theaterkarren ließ der 64-Jährige lieber im Dreck stecken. Denn wenn man hier zu Lande Intendant ist, liegt schon im Warten der halbe Weg zum Glück. Und das ist oft so nah: Im September 2001 übergibt Dorn seine 150 Millionen Mark schwere städtische Theaterbaustelle an Frank Baumbauer, geht einmal quer über die Straße – und am Ende der renommiersüchtigen Maximilianstraße empfängt ihn das Bayerische Staatsschauspiel: Mit dem Cuvilliéstheater, dem Residenztheater und dem Marstall genau das Richtige für einen, der früher bereits „König“ und „Kardinal“, erst kürzlich aber „Majestät des Theaters“ genannt wurde.
So sprach vor einer Woche der Vorsitzende des Kulturausschusses im Bayerischen Landtag, und im Grunde war da bereits klar: Dorn wird Nachfolger Eberhard Witts, der seiner künstlerischen Freiheit zuliebe vorzeitig den Vertrag mit dem CSU-Staat löste.
Die Entscheidung für Dorn ist keine schlechte – aber auch nicht eben mutig. Auf seine sorgsam gearbeiteten Klassikerinszenierungen hätte das Münchner Publikum sicher ungern verzichtet. Ebenso auf altgediente Kammerspiel-Granden wie Christa Berndl, Doris Schade, Rolf Boysen, Thomas Holzmann, Jens Harzer oder Sophie von Kessel. Doch zeigt auch ein Bilderbuchensemble irgendwann Ermattungserscheinungen – resultierend aus dem ganz realen Familientrott.
Neue Impulse gingen von diesem Haus lange nicht mehr aus: Jens-Daniel Herzog mag sich noch so sehr als böser Bube präsentieren, sein Regiestil wirkt fast wie von Dorn geklont. Und auch der jüngsten Münchner Regiehoffnung, Jan Bosse, fällt nur der Ästhetizismus als Alternative zum Übervater ein.
Sicher wird der erfolgsverwöhnte Dorn auch die größte deutsche Sprechbühne voll bekommen. Doch wird man auch auf allen drei Spielstätten lebendiges Theater sehen? Vor allem die Experimentierbühne Marstall, die Elisabeth Schweeger zu einer schrägen Stadtoase machte, dürfte man nicht einmal der allerschönsten Kultiviertheit opfern. Auch keiner, die sich bunte, zeitgemäße Kleider überzieht. Sabine Leucht
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