Canberra streitet über Nazi-Verbrecher

Australien möchte den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Kalejs lieber loswerden, als ihn endlich selbst anzuklagen

Sydney (taz) – Australiens Regierung und Opposition werfen sich gegenseitig vor, dass der mutmaßliche Nazi-Kriegsverbrecher Konrad Kalejs wieder unbehelligt von der Justiz in Melbourne leben kann. Er war vergangene Woche seiner Ausweisung aus Großbritannien durch die Rückkehr nach Australien zuvorgekommen, dessen Staatsbürgerschaft er seit 1957 besitzt. Die Labour-Opposition fordert jetzt, die nie ganz geschlossene Akte Kalejs wieder zu öffnen und den 86-jährigen gebürtigen Letten vor Gericht zu bringen.

Die Regierung weist halbherzig darauf hin, dass für eine Wiederaufnahme des Falles neue Beweise vorliegen müssen. Vor allem aber wirft sie der Opposition Scheinheiligkeit vor. Denn es war eine Labour-Regierung, die 1992 die australische Sondereinheit SIU zur Ermittlung von Kriegsverbrechen auflöste. In 27 Fällen waren die Ermittlungen damals noch nicht abgeschlossen gewesen.

Kalejs wurde in Australien nie angeklagt, weil die Beweise gegen ihn den Behörden als nicht hieb- und stichfest genug erschienen. Regierung und Opposition scheinen aber auch jetzt kein großes Interesse zu haben, ihn in Australien vor Gericht zu bringen. Vielmehr sähen es beide lieber, wenn Lettland, wo Kalejs seine Verbrechen begangen haben soll, seine Auslieferung beantragen würde. Canberra verweist darauf, dass ein erst kürzlich in Kraft getretenes Gesetz die Auslieferung australischer Staatsbürger vereinfacht, sofern diese im Ausland Kriegsverbrechen verdächtigt werden.

Für zusätzliche Irritation sorgte Kalejs selbst mit seiner unbewiesenen Behauptung, Premier John Howard habe ihm 1998 schriftlich versichert, in Australien keine weitere Verfolgung mehr befürchten zu müssen. Vizepremier Anderson, der den im Urlaub weilenden Howard vertritt, verneint die Existenz eines solchen Schreibens. Er musste aber einräumen, dass Howard 1998 sagte, dass gegen Kalejs aus Mangel an Beweisen nicht mehr ermittelt würde. Der Premier hätte aber auch keinen Zweifel daran gelassen, dass die Akte nicht geschlossen sei, sondern der Fall mit neuen Beweisen reaktiviert werden könne.

Diese lieferte Kalejs inzwischen selbst. In einem Radiointerview gab er am Wochenende erstmals zu, Mitglied in der berüchtigten lettischen Nazihilfstruppe „Kommando Arajs“ gewesen zu sein. Diese soll 30.000 Juden, Kommunisten und Sinti ermordet haben. Zudem räumte er ein, deren Anführer Viktor Arajs mindestens einmal persönlich während des Krieges in Deutschland getroffen zu haben. Arajs war Anfang der 80er-Jahre in Deutschland wegen des Mordes an 13.000 Menschen verurteilt worden. In dessen Verfahren fiel auch erstmals Kalejs Name. Der hatte nach seiner Flucht vor der Sowjetarmee vermutlich für den britischen Geheimdienst gearbeitet, bevor er nach Australien auswanderte. Dort hielt es ihn nur so lange, bis er die Staatsbürgerschaft bekam. Seit 1959 lebte er in den USA und Kanada. Wegen seiner mutmaßlichen Beteiligung an Massenerschießungen in Lettland während der Besatzung durch die Nazis wiesen ihn Kanada 1984 und die USA 1994 aus.

Professor Konrad Kwiet, der als SIU-Historiker maßgeblich zu Kalejs Ausweisung aus Kanada beitrug, wirft der australischen Regierung „Versagen“ vor. Die seinerzeit von der SIU zusammengetragenen Beweise für die Beteiligung Kalejs an Massenmorden seien ausreichend für eine Anklage. Der ehemalige Leiter der SIU, Bob Greenland, vermutet gar, dass Kalejs in den 50er-Jahren in australischen Flüchtlingslagern für Canberras Geheimdienst ASIO gearbeitet habe.

Der 86-Jährige, der jede Beteiligung an den Kriegsverbrechen weit von sich weist, kann jedenfalls so lange unbehelligt die Sonne und Strände Australiens genießen, wie sich die Politiker in Canberra mit gegenseitigen Vorwürfen beschäftigen und so ein Verfahren blockieren. Michael Lenz