Keine Folgen für die Wehrpflicht

Wenn die Dienstpflicht demnächst fällt, ist das keine Auswirkung des EuGH-Urteils, sondern hat verteidigungspolitische Gründe

Freiburg (taz) – Mit einem baldigen Ende der Wehrpflicht rechnet Angelika Beer, die Verteidigungsexpertin der Grünen-Bundestagsfraktion. „Es kann nicht sein, dass man Männer zum Dienst zwingt und Frauen sich freiwillig melden können.“ Verteidigungsminister Scharping erklärte dagegen, dass die Wehrpflicht von dem Luxemburger Urteil „nicht berührt“ werde. Vermutlich haben beide Recht: Die Wehrpflicht wird fallen, aber nicht als Folge des gestrigen EuGH-Spruchs.

Juristisch kann die Ungleichbehandlung bei der Wehrpflicht auch künftig nicht angegangen werden. Schließlich ist die Wehrpflicht für Männer nicht nur in einem Gesetz, sondern in der Verfassung geregelt. So heißt es im Grundgesetz ausdrücklich: „Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften verpflichtet werden.“

Nur im Kriegsfall können Frauen zu zivilen und medizinischen Dienstleistungen herangezogen werden. Würde also ein junger Mann gegen die ungleich verteilte Wehrpflicht vors Bundesverfassungsgericht ziehen, dann könnten ihm die Roten Roben wenig helfen. Denn als Hüter der Verfassung ist das Gericht ja gerade an das Grundgesetz gebunden. Und der Europäische Gerichtshof ist im Hinblick auf nationale Dienstpflichten nicht zuständig.

Bei Lichte betrachtet ist die Wehrpflicht für Männer auch keine wirkliche Diskriminierung. Schließlich tragen Frauen heute noch den Großteil der Lasten für die Gemeinschaft. Und selbst wenn die Familienarbeit eines Tages gleichberechtigt aufgeteilt würde, wären es immer noch die Frauen, die die Belastung der Geburt auf sich nehmen müssen.

Aber dennoch ist die baldige Abschaffung der Wehrpflicht keine Utopie. Verteidigungspolitisch ist sie nach dem Ende der Ost-West-Blockkonfrontation schon lange in der Diskussion. Im Mai will die von Verteidigungsminister Rudolf Scharping eingesetzte Wehrstrukturkommission ihre Empfehlungen äußern. Gut möglich, dass sie dann nach französischem Vorbild den Übergang zu einer hoch spezialisierten Berufsarmee empfiehlt. Auch beim Bundesverfassungsgericht ist ein entsprechendes Verfahren anhängig. Das Landgericht Potsdam hatte die Frage vorgelegt, ob die Wehrpflicht „infolge der veränderten geopolitischen Lage“ noch dem „Verhältnismäßigkeitsprinzip“ genügt.

Inzwischen wurden auch Stimmen laut, die über die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht nachdenken. So macht sich etwa die SPD-Politikerin Verena Wohlleben Sorgen um die Funktionsfähigkeit der Sozialeinrichtungen in Deutschland. „An der Wehrpflicht hängt einfach zu viel dran“, erklärte sie gestern mit Blick auf den zivilen Ersatzdienst. Eine solche allgemeine Dienstpflicht wäre dann aber nicht Folge des Luxemburger Richterspruchs, sondern des verteidigungspolitisch motivierten Wegfalls der Wehrpflicht.

Christian Rath