Frauen kurz vor dem Schützengraben

Der Europäische Gerichtshof hat entschieden: Die Bundeswehr muss sich für Frauen öffnen. Die Details liegen nun im Ermessensspielraum der deutschen Politik. Minister Scharping will umgehend handeln ■ Von Christian Rath

Freiburg (taz) – Es kam, wie es kommen musste. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg entschied gestern, dass die Bundeswehr künftig auch für Frauen offen stehen muss. Ein genereller Ausschluss sei mit dem EU-Recht nicht zu vereinbaren. Bisher können Frauen beim Bund nur im Sanitätsdienst oder im Musikkorps arbeiten. Unter den 330.000 deutschen SoldatInnen sind bisher nur 4.250 Frauen. Verteidigungsminister Scharping kündigte in einer ersten Stellungnahme an, schon 2001 die Bundeswehr für Frauen zu öffnen.

Der EuGH begründete seine Entscheidung mit einer EU-Richtlinie aus dem Jahr 1976. Diese fordert die Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Erwerbsleben. Wie der Gerichtshof nun bekräftigte, gilt diese Richtlinie auch im Bereich der Streitkräfte. Schon im letzten Oktober hatte der EuGH in einem englischen Fall festgestellt, dass Fragen der „inneren und äußeren Sicherheit“ zwar weiterhin „Sache der Mitgliedsstaaten“ seien. Allerdings, so das EU-Gericht, sei dabei auch stets das Gemeinschaftsrecht zu beachten.

Damit ist nun aber nicht gesagt, dass Frauen ab sofort alle Laufbahnen bei der Bundeswehr offen stehen. Die EU-Richtlinie lässt den Ausschluss von Frauen nämlich dann zu, wenn das Geschlecht für eine bestimmte Tätigkeit „unabdingbare Voraussetzung“ ist. Bei welchen Tätigkeiten dies der Fall ist, können die Mitgliedsstaaten grundsätzlich selbst bestimmen. Hier gebe es einen „Ermessensspielraum“, betonte der EuGH. Als Beispiel für zulässige Ausnahmen wurde der „Dienst in speziellen Kampfeinheiten“ genannt.

Andererseits mahnten die 15 RichterInnen aber auch, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung „soweit wie möglich“ zu verwirklichen sei. Ausnahmen seien „eng auszulegen“. Zur derzeitigen Praxis der Bundeswehr sagte der EuGH unmissverständlich: Ein Ausschluss für nahezu alle militärischen Verwendungen könne „nicht als eine Ausnahmemaßnahme angesehen werden“. Der Ausschluss von Frauen aus der Bundeswehr sei vielmehr nur „für spezifische Tätigkeiten“ möglich.

Damit liegt der Ball nun wieder im Feld der deutschen Politik. Diese muss sich nun darüber klar werden, für welche militärischen Tätigkeiten künftig auch Frauen zugelassen werden sollen. In den meisten EU-Staaten unterliegt der Einsatz von Frauen nur geringen oder gar keinen Einschränkungen. So ist häufig die Tätigkeit in U-Booten für Männer reserviert, ebenso diejenige als „Kampfschwimmer“.

Die FDP setzt sich dagegen für einen unbeschränkten Einsatz von Frauen in der Bundeswehr ein. „Frauen sollen in alle Laufbahnen einsteigen können, wenn sie sich als qualifiziert erweisen“, erklärte gestern Günther Nolting, der verteidigungspolitische Sprecher der Liberalen. Sein Kollege von der Union, Paul Breuer, wollte nicht so weit gehen: „Frauen im Schützengraben oder als Einzelkämpfer“ kämen für ihn nicht in Frage. Sie könnten aber „wie in anderen Armeen“ als Pilotinnen, in kampfunterstützenden Einheiten sowie im Wachdienst eingesetzt werden.

Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Claire Marienfeld (CDU), glaubt, dass nur wenige Frauen überhaupt Interesse an einer Tätigkeit bei der Bundeswehr haben. Konkrete Zahlen hierzu liegen aber nicht vor, da Bewerbungen bisher sinnlos waren.

SprecherInnen von CDU bis zu den Grünen sprachen sich gestern für eine Änderung des Grundgesetzes aus. Bisher heißt es in Artikel 12 a: „Sie (die Frauen) dürfen auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten.“ Ein Gesetzentwurf der FDP, der diese Aussage ersatzlos streichen will, liegt schon seit letztem Sommer vor. Eine ähnliche Initiative hat auch das Land Niedersachsen bereits angekündigt.

Der EuGH hat sich zum Grundgesetz gestern überhaupt nicht geäußert. Zwar ist im Prinzip anerkannt, dass Europarecht auch einer nationalen Verfassungsvorschrift vorgeht. Doch ob ein solcher Konflikt hier überhaupt besteht, ist umstritten. Dem Zusammenhang nach ist in Artikel 12 a der Waffeneinsatz von Frauen nur im Rahmen einer Dienstverpflichtung verboten. Auf freiwillige Tätigkeiten beim Militär bezieht sich dieser Passus eigentlich nicht, auch wenn er lange Zeit so verstanden worden ist. Eine Grundgesetzänderung kann deshalb aber zumindest zur Klarstellung dienen.

Für die 23-jährige Anlagenelektronikerin Tanja Kreil, die das gestrige Urteil ausgelöst hat, ist der Rechtsstreit noch nicht abgeschlossen. In den kommenden Monaten wird sich das Verwaltungsgericht Hannover wieder mit ihrem Fall beschäftigen. Es hatte den EuGH eingeschaltet, um die europarechtliche Seite des Falles zu klären. Es ist davon auszugehen, dass das Verwaltungsgericht nun fordern wird, Kreils Bewerbung für die „Instandsetzung“ der Bundeswehr zuzulassen. Ob sie eingestellt wird, muss dann die Bundeswehr entscheiden.

Oberst Bernhard Gertz, der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, erklärte nach dem Luxemburger Urteil: „Hier ist ein Berufsverbot gefallen. Tanja Kreil hat Rechtsgeschichte geschrieben.“