„Sie glauben es, obwohl sie es besser wissen“

Der Medienphilosoph Norbert Bolz über Werbung, Lüge und die Autonomie der Konsumenten

Norbert Bolz ist Professor für Kommunikations- und Medientheorie an der Universität Essen, kürzlich erschien sein neuestes Buch über „Die Wirtschaft des Unsichtbaren“.

taz: Wenn eine Frau eine Creme kauft mit dem Zusatz „Lifting-Creme“, glaubt sie dann, dass ihre Haut dadurch tatsächlich gestrafft wird?

Norbert Bolz: Sie glaubt es, obwohl sie es besser weiß. Das ist bei allen Werbebotschaften so: Wir nehmen sie in dem deutlichen Bewusstsein wahr, dass sie manipulieren, dass sie betrügen. Sie sind ein Versprechen, etwa das Versprechen der Kosmetik, dass man auf einfache Weise und in kurzer Zeit etwas ändern kann. Es ist eine Verheißung, die man gerne hört.

Dabei scheint es gleichgültig zu sein, dass die Enttäuschung auf dem Fuße folgt.

Es ist eine Fähigkeit des Menschen, sich wider besseres Wissen illusionieren zu können, ähnlich wie man Alkohol oder Drogen zu sich nimmt, um sich ein bisschen zu benebeln. Das ist eine Entlastungstechnik, die man ritualisiert, an die man sich gewöhnt hat.

Sind die Konsumenten dabei noch Herr der Lage?

Insofern, als dass die Leute nicht von der Werbung manipuliert werden. Werbung ist zu offensiv, sie ist eine leicht erkennbare Traumwelt. Kein Mensch in der westlichen Welt ist so naiv, das mit der Wirklichkeit zu verwechseln.

Aber ist das Ich wirklich so autonom? Sind die Leute nicht überfordert von dem ständigen Beschuss durch Werbung?

Meine Botschaft war nie die Botschaft eines emanzipierten, freiheitlichen Subjekts. Die Möglichkeit der autonomen Selbstwahl habe ich immer für faulen Zauber gehalten. Die Werbe- und Konsumwelt ist vielmehr eine Art Schematismus, der Schablonen produziert, in die dann die Sehnsucht, ich selbst oder ein Individuum zu sein, hineingegossen werden kann. Die Individualität wird damit paradoxerweise zur Massenware.

Gibt es dabei nicht Unterschiede zwischen Gebildeten und weniger Gebildeten im Umgang mit Werbung?

Es gibt Unterschiede im Umgang mit Werbung. In den USA gibt es vielleicht wirklich noch Leute, die glauben das, was drin steht. Andere wiederum genießen Werbung mehr mit ironischer Distanz. Ich würde aber niemals sagen, dass es eine breite Masse gibt, die der Manipulation unterliegt. Ich würde bei der Werbung immer annehmen, dass die Leute im Durchschnitt ein hohes Level haben, mit Raffinesse, Ironie und auch einer unglaublich hohen Gleichgültigkeit mit Werbung umzugehen. Interview:
Barbara Dribbusch