Keine Zeit mehr zu reden

■ Pflegenotstand heißt auch Qualifizierungsnotstand. Altenpfleger wünschen sich eine größere Lobby

„Zu wenig Zeit, zu wenig Personal und vor allem zu wenig qualifiziertes Personal“, beschreibt Eva-Maria Leonavicius die Verhältnisse in der Altenpflege. Sie selber arbeitet seit sechs Jahren als Ungelernte in der ambulanten Pflege, nun hat sie eine berufsbegleitende Ausbildung zur Altenpflegerin fast abgeschlossen. „Früher hatte man Zeit, mit den alten Menschen zu reden. Heute ist dafür keine Zeit eingeplant, nur noch nebenbei.“ Das habe mit der Pflegeversicherung zu tun, aber auch damit, dass es in der Pflege zu wenig Personal gibt.

Das Rauhe Haus informierte gestern über das Thema Qualifizierung in der Altenpflege. „Zum Pflegenotstand können wir alles bestätigen, was in den vergangenen Wochen gesagt und geschrieben wurde“, sagt Dietrich Sattler, Vorsteher des Rauhen Hauses. Für ihn ist aber die Qualifizierung ein Teil des Pflegenotstandes. „Im Bereich der Pflege gibt es Headhunting“.

„Es gibt Studien, denen zufolge jemand nach seiner Ausbildung nur noch zwei Jahre in dem Beruf bleibt“, sagt Carsten Mai, Leiter der evangelischen Fachschule für Altenpflege des Rauhen Hauses. Das hänge mit den größer werdenden Belastungen zusammen, aber auch damit, dass immer weniger qualifizierte Altenpfleger in den Einrichtungen und Diensten arbeiten. Die gesetzlich vorgeschriebene Quote, dass das mindestens 50 Prozent sein müssen, lasse sich kaum erfüllen. „Das Arbeiten mit Ungelernte ist schwieriger. Die kennen viele Hintergründe nicht“, sagt fast fertige Altepflegerin Tina Schilk.

Die Fachschule bietet zwei Ausbildungsgänge an: Beide dauern drei Jahre. Einer ist berufsbegleitend, der andere Vollzeit. An seinem Ende hat man neben dem Abschluss „staatlich anerkannte Altenpflegerin oder staatlich anerkannter Altenpfleger“ die Fachhochschulreife. „Das ist ganz neu, wir wollen damit Aufstiegsmöglichkeiten geben“, erklärt Mai. Ungeklärt ist allerdings noch die Finanzierung für die Auszubildenden. Denn viele von ihnen lernen Altenpflege als zweiten Beruf in einem Alter, in dem sie schon Familie haben. Das Arbeitsamt bezahlt eine Umschulung aber nur zwei Jahre.

„Was wir brauchen, sind motivierte und gut ausgebildete PflegerInnen“, sagt Dietrich Sattler. Und die Auszubildenden finden, dass sie mehr öffentliche Anerkennung brauchen. „Altenpflege hat für viele Leute immer noch einen Touch von, ,das kann doch jeder'“, klagt Florian Kienitz, der seine Ausbildung berufsbegleitend macht. „Nach jedem Block habe ich mehr Verantwortung bekommen.“ Und seine Kollegin Christina Degethoff, die sich für eine Vollzeit-Ausbildung entschieden hat, fühlt sich mit Ausbildung kompetenter. „Ich habe viel über psychosoziale Betreuung gelernt.“ Aber: „Die Altenpflege braucht eine größere Lobby“. Sandra Wilsdorf