„Staps hätte schon längst zuschlagen können“

■ Kriminalpsychologe Rudolf Egg schätzt den Drohbriefautor Olaf Staps als tief verletztund fanatisch ein. Seine Inszenierung einer großen Abrechnung trage selbstzerstörerische Züge

taz: Herr Egg, wie bewerten Sie die Drohbriefe von Olaf Staps?

Rudolf Egg: Ich sehe ihn als jemand, der tief verletzt und gekränkt ist und sich in einer feindseligen Welt allein gelassen fühlt. Er droht mit einer Gewalttat, um sich und das Unrecht, das ihm geschehen ist, in den Vordergrund zu rücken. Er fühlt sich insbesondere von den Leuten verraten, die ihm politisch nahe stehen müssten. Dabei bedroht er die PDS in einem Übermaß, das man nur noch als fanatisch bezeichnen kann.

Es sind auch massive selbstzerstörerische Züge erkennbar. Er inszeniert eine große Abrechnung und spricht davon, dass er den eigenen Tod in Kauf nimmt. Der 9. Januar soll zum Gedenktag für ihn selbst werden. Selbst wenn die Vorwürfe stimmen sollten, dass ihn die PDS im Stich gelassen hat, versteht man nicht, warum er so überreagiert. Wie er PDS-Chef Gregor Gysi [als „Goebbels-Fresse“ – d. Red.] charakterisiert, das ist bizarr und maßlos.

Staps hat als Altenpfleger gearbeitet und sich als Rettungsschwimmer engagiert, was auf ein soziales Verantwortungsbewusstsein deutet. Ist es nicht ein Widerspruch, dass er droht, Menschen umzubringen?

Nur auf den ersten Blick. Er hat eine andere Vorstellung von sich und der Welt. Nicht er will anderen Böses tun, sondern alles hat sich gegen ihn, der es eigentlich gut meint, verschworen. Deshalb muss er sich wehren. Ich habe an keiner Stelle den Eindruck, dass er geistig verwirrt ist. Die Aussagen sind, abgesehen von ihrer Radikalität, logisch und stimmig. Das ist ein hochintelligenter Mann, der weiß, was er da schreibt. Aber er ist tief verletzt, deshalb überspannt er in jedem Satz den Bogen.

Kennen Sie ähnliche Fälle?

Auch die Gründer der Baader-Meinhof-Bande waren keine Berufsverbrecher, sondern Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof hatten ursprünglich eine stark humanitäre Orientierung und verfolgten an sich sehr noble Ziele. Irgendwann gab es einen Knick in ihrer Biografie und ihre Ziele und Methoden haben sich radikalisiert.

Eine gewisse Parallele sehe ich auch bei Männern, die ihre ganze Familie auslöschen. Das sind in der Regel keine brutalen Persönlichkeiten, sondern sie werden in vielen Fällen als perfekte Familienväter beschrieben. Jemand, der so stark ein Ideal lebt, für den zerbricht eine Welt, wenn das aus irgendwelchen Gründen nicht mehr stimmig ist. Dann kann sich alles ins Gegenteil verkehren: Wenn die Welt nicht mehr heil ist, dann soll sie gar nicht mehr da sein. Dann braucht es mich nicht mehr zu geben, dann muss alles vorbei sein.

Glauben Sie, dass Staps zur Umsetzung seiner Gewaltandrohung fähig wäre?

Es wäre denkbar. Aber man kann umgekehrt fragen: Warum hat er nicht schon längst etwas gemacht? Die PDS hat Büros. Wenn er eine Waffe hat, hätte er bereits zuschlagen können. Er droht auch nicht damit. Er sucht den großen Showdown mit dieser Demonstration, damit die ganze Welt seine große Nummer mitbekommt. Ich würde ihn sehr ernst nehmen.

Wie könnte man Staps zur Umkehr bewegen?

Die Frage ist, wer das könnte. Es müsste eine neutrale Person des öffentlichen Lebens sein, die er nicht von vornherein ablehnt und die mit ihm redet. Das wäre ein denkbarer Weg.

Fürchten Sie die Zunahme solcher Fälle?

Wir leben in einer hochsensiblen Welt, die man leicht in Angst und Schrecken versetzen kann. So etwas wird ausgenutzt.

Interview: Dorothee Winden Prof. Dr. Egg ist Direktor der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden, einer Forschungseinrichtung von Bund und Ländern.