Das Jesuiten-Massaker soll ungesühnt bleiben

Die Interamerikanische Menschenrechtskommission verlangt von der Regierung El Salvadors die Aufklärung von Kriegsverbrechen. Doch der Präsident tut lieber nichts

San Salvador (taz) – El Salvadors scheuer Präsident Francisco Flores bevorzugt meditative Einsamkeit. Der direkte Kontakt mit dem Volk ist nicht seine Sache. Trotzdem glaubt er genau zu wissen, dass die Bevölkerung die ungesühnten Massaker auf sich beruhen lassen will, die von der Regierungsseite im Bürgerkrieg (1980 bis 1992) verübt wurden.

Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (ICHR) der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) untersuchte jetzt ein Massaker: Am 16. November 1989, mitten in einer Guerilla-Offensive, ermordete eine Armee-Einheit in der Jesuiten-Universität von San Salvador den Rektor, fünf Ordensbrüder und zwei Hausangestellte.

Dazu beschloss die ICHR jetzt: „Der salvadorianische Staat ist für die Verletzung des Lebensrechts der Jesuiten und ihrer Mitarbeiterinnen verantwortlich.“ Denn er sei nicht der Verpflichtung nachgekommen, diese Verbrechen ernsthaft zu untersuchen. Auch verstoße das Amnestiegesetz der Regierung gegen die Interamerikanische Menschenrechtskonvention.

Flores will den Fall trotzdem nicht wieder aufrollen. „Das würde bedeuten, dass wir die Tür zu einem Konflikt öffnen, den wird schon lange hinter uns gelassen haben.“ Der Entschluss der ICHR sei nicht mehr als „eine Empfehlung, und wir werden sie aufnehmen wie viele anderen Empfehlungen auch“. Nämlich gar nicht.

Doch die Sache ist komplizierter. Zwar sind solche Entschlüsse keine rechtskräftigen Urteile. Die OAS-Staaten sind aber verpflichtet, den dargestellten Missstand zu beheben. Bis Ende März hat die Regierung Zeit, entsprechende Schritte einzuleiten. Tut sie es nicht, kann die ICHR das Verbrechen für international verfolgbar erklären, so dass es vor jedem Gericht der Welt verhandelt werden könnte. Oder sie reicht kann den Fall an den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte weiter. Dessen Urteil hätte dann verbindlichen Charakter.

Die erste Variante ist wahrscheinlicher. Der heutige Rektor der Jesuiten-Universität, José María Tojeira, kündigte inzwischen eine Klage der Angehörigen der Ermordeten an. Da sie fast alle Spanier waren, sei Spanien „der angemessene Ort“. Pinochet-Jäger Baltasar Garzón lässt grüßen.

Kommt es so weit, droht El Salvador ein politisches Erdbeben. Der Bericht einer Wahrheitskommission von 1993 beschuldigt den damaligen Generalstab der Armee, den Mord an den Jesuiten in Auftrag gegeben zu haben. Alles deutet alles darauf hin, dass der damalige Präsident Alfredo Cristiani davon zumindest wusste. Heute ist er Vorsitzender der Regierungspartei Arena.

Fünf Tage nach Veröffentlichtung des Berichts 1993 verabschiedete das Arena-dominierte Parlament eine Generalamnestie für alle im Bürgerkrieg begangenen Verbrechen. Cristiani unterzeichnete das Gesetz – ein Verfassungsbruch. Das Grundgesetz verbietet es nämlich, dass ein Präsident Straftaten von Staatsbediensteten amnestiert, die in seiner eigenen Regierungszeit begangen wurden. Die Entscheidung über eine entsprechende Verfassungsklage steht noch immer aus.

Toni Keppeler