Geordnet kakofonisch

■ An der Schnittstelle von Jazz, Electronica und Postrock: Die norwegische Free-Music-Band Supersilent tritt im Podewil auf

Wer an norwegische Musiker denkt, dem wird als erstes Jan Gabarek einfallen. Wer dann noch die Gruppe Motorpsycho parat hat, kann sich schon als Spezialist für den aktuellen kulturellen Output Norwegens fühlen. Sowenig der Sphärenjazz des Saxofonisten mit den Feedbackgitarren der Rockband zu tun hat, so viel verbindet beide mit Supersilent.

Ein Mitglied des norwegischen Quartetts ist Helge Sten, der bei Motorpsycho spielte und bei Supersilent für die Bedienung der elektronischen Geräte zuständig ist. Abgesehen von der allumfassenden Jazz-Kategorie ist die Verbindung zu Gabarek eher visueller Natur. Denn das noch junge Label Rune Grammofon, auf dem Supersilent-Platten erscheinen, zeichnet sich durch ein ebenso profiliertes Artwork aus wie die altehrwürdige Münchner Firma ECM, die die Platten Garbareks veröffentlicht. Wobei es dem Grafikdesigner Kim Hiorthøy eher darum geht, mit wenigen grafischen Elementen Akzente zu setzen, als mit sensibler Farbgebung und stimmungsvollen Fotos Eindruck zu schinden (man verzeihe den kleinen Seitenhieb auf den viel gepriesenen ECM-Look).

Die Musik von Supersilent entspricht nicht dem Bandnamen. Zum größten Teil haben wir es hier mit hochenergetischer, spannungsgeladener Improvisation zu tun, die natürlich ruhigere Passagen einschließt, aber nie ins leise Gekrösel abdriftet. In der Band spielen außer Sten drei gestandene norwegische Jazzmusiker: Ståle Storløkken, Arve Henriksen und Jarle Vespestad. Seit zehn Jahren bilden sie das Trio Veslefrekk und sind damit eine eingespielte Free-Music-Band. 1996 formierten sie sich spontan bei einem Jazzfestival in Bergen gemeinsam mit Sten zu Supersilent. Auf Anhieb erwies sich ihre interne Kommunikationsweise – schließlich das A und O bei Improvisationsmusik – aufnahmefähig für die Beiträge, die Sten aus seinen elektronischen Rhythmusmaschinen und Echokammern holte. Daraufhin trafen sie sich sporadisch; aber immer, um konkret vor Publikum zu spielen oder Platten aufzunehmen.

Einen ersten Eindruck hinterließen sie mit ihrer Triple-CD „1–3“, der im letzten Jahr ein lakonisch mit „4“ betiteltes Album folgte. Vor Auftritten und Aufnahmen wird nichts abgesprochen, das Quartett verlässt sich vollständig auf die Intention des Moments.

Kakofonische Kindertrompeten, hyperaktive Drums und nervender Elektronikkrach sind drei Supersilent-Charakteristika. Abrupte Wechsel in kaum hörbare Passagen, leise Dialoge zwischen Geräusch-Loops und Gitarrenfeedback gehören aber genauso dazu.

Musik wie die von Supersilent wird so oder so ähnlich seit dreißig Jahren gemacht, und einige, die diese Entwicklung intensiver verfolgt haben, werden denken, dass die Norweger nur kalten Kaffee aufwärmen. Dass ihre Musik trotzdem relevant ist, liegt am Umfeld, in dem sie erscheint und wahrgenommen wird. Rune Grammofon ist eines jener Labels, das sich auf der Schnittstelle zwischen Electronica und Post-Rock bewegt, einem Feld, das für viele an aktueller Musik interessierte Leute die Notwendigkeit geschaffen hat, sich mit Genres und Geschichten auseinander zu setzen, die zuvor das Metier eingefleischter Downbeat- und Musik-Konzepte-Leser waren. Wer heute Goldie sagt, sollte auch das Werk von Stockhausen kennen; und ein Wort über eine beliebige Techno-Maxi äußern sollte nur, wer die Miles-Davis-Alben zwischen 1969 und 1975 rückwärts buchstabieren kann.

Supersilent sind ein Funkeln in diesem Kosmos. Durch die Unterstützung der britischen Fachpresse wurde es in der letzten Zeit immer heller. Jetzt kann man sich auch hier zu Lande von seiner Leuchtkraft überzeugen. Martin Pesch

Heute ab 21 Uhr im Podewil, Klosterstraße 68, Mitte