Der Einfall der Neckermänner

Die Degeneration des Fußballfans zum Sicherheitsrisiko geht bei der kommenden EM in eine neue Runde, sagt das größte Fanprojekt Bündnis Aktiver Fußball-Fans ■ Von Gerd Dembowski

Leipzig (taz) – Die Sicherheitsplaner der Fußball-Europameisterschaft in Belgien und den Niederlanden haben eine gute Idee. Damit Fans, die vor dem Stadion zur Zahlung eines Ordnungsgeldes verurteilt werden, auch unverzüglich die Strafe antreten können, werden in Stadionnähe zusätzliche Bankautomaten installiert. Gewerkelt wird aber auch in Polizeistationen. Dort baut man die Zellen aus, um den erwarteten Ansturm von Hooligans zu bewältigen. Und die Justiz setzt auf den Einsatz zusätzlicher Richter, die per Schnellgerichtsverfahren spätestens innerhalb von drei Tagen verurteilen.

Solche Meldungen regen Stefan Diener auf. Er ist Sprecher des Bündnis Aktiver Fußball-Fans (BAFF). Er wehrt sich gegen die Reduzierung der Fans zum Sicherheitsrisiko und gegen das Pauschalurteil, sie seien durchweg potenzielle Gewalttäter: „Ein Fußballfest rückt da in weite Ferne, wenn schon in der Stadt und dem Stadionumfeld anstatt auf Begegnung vornehmlich auf Separierung gesetzt wird.“

Beim jährlichen Wintertreffen des BAFF am vergangenen Wochenende in Leipzig zeugten die aktuellen Stimmungen unter den Fußballanhängern weniger von EM-Fieber und Reiselust. Viele wollen zu Hause bleiben. Schon bei der WM 1998 in Frankreich lief beim Kartenverkauf einiges schief. Fans standen vor verschlossenen Toren. Das führte einige Male zu Jagdszenen auf den Schwarzmärkten und Fanunruhen.

Für die EM-Spiele der Deutschen kommt wieder nur ein Bruchteil des Kartenkontingents in den freien Verkauf. Zudem kombinieren Reisbüros die Tickets mit Hotelbuchungen, ein gutes Geschäft. Über den Ticketmarkt seien „die Neckermänner hergefallen“, sagt ein Fan des MSV Duisburg. Die Tickets für die EM kosten zwischen 70 und 210 Mark, zu teuer für viele. Ständig wechselnde Spielorte und die Tatsache, dass ein Fan beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) maximal zwei Tickets für nur ein Vorrundenspiel bekommt, sind zusätzliche Ärgernisse.

Auf dem Bestellformular muss der Fan versichern, „noch nicht wegen Beteiligung an Auseinandersetzungen bei Sportveranstaltungen in Erscheinung getreten“ zu sein – ein naiver Versuch des DFB, den Angriffen deutscher Hooligans auf den französischen Gendarmen Daniel Nivel Rechnung zu tragen. Hilflosigkeit drücke auch der überhastet zusammengestellte Strafkatalog von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) aus, den BAFF-Sprecher Diener als „Notstandsverordnung“ bezeichnete: „Das Beschlagnahmen von Ausweisen, Grenzkontrollen und Meldeauflagen setzen sowohl das Schengener Abkommen als auch elementare Bürgerrechte außer Kraft“, sagte er. „Hat ein Betroffener schon einen Urlaub auf Mallorca gebucht oder will seine Tante in Österreich besuchen, ist er gezwungen, zu Hause zu bleiben. Und: Ist so etwas erst einmal Praxis, könnte es später auch auf normale Demonstranten angewandt werden.“

So progressiv die Regierung der Niederlande sich in anderen Bereichen präsentiert – in Zusammenarbeit mit den Fußballverbänden will auch sie den Knüppel aus dem Sack holen. Schon die Sicherheitskonzepte bei Ligaspielen und Nationalmannschaftspartien verdeutlichten zuletzt, in welche Richtung es geht. Viele Stadien gleichen Festungen. Der Arnheimer Gelredome ist von einem Wassergraben umschlossen und zu Fuß überhaupt nicht zu erreichen. Anreisende Fans werden per Bus ohne Umwege direkt ins Stadion gefahren und dann in ihren Block gepfercht. Schon seit 1997 fordert BAFF – mit zirka 200 Einzelmitgliedern und 35 Fangruppen die einzige bundesweite Interessenvertretung für Fans –, dass Fußballanhänger aus ganz Europa im Vorfeld mitplanen.

Selbst den erfahrenen deutschen Fanprojekten – in Frankreich noch mit Infobus, Fanmagazin und Streetworkertandems vertreten – wurden lange Zeit Steine in den Weg gelegt. Zwar konnte die Koordinationsstelle der Fanprojekte in Frankfurt jetzt zusichern, dass Streetworker und Anlaufstellen vor Ort sein werden, aber über die genaue Anzahl ließ man die Fans noch im Unklaren. Klar ist, dass trotz Übersättigung und Kommerz tausende Anhänger zu den Spielen reisen werden, um irgendwie an ein Ticket zu gelangen. Ob die repressive Schiene der Behörden vor Ort und die Sondergesetze wirklich Gewalt verhindern werden, bleibt fraglich.