Schlachtfeld Wohnzimmer

Früher zogen die amerikanischen Filmhelden aus, um Abenteuer zu bestehen. Jetzt findet der Krieg an der heimischen Geschlechterfront statt. In dem Kinofilm „American Beauty“ wird die Vorstadt zum Schauplatz einer elegischen Heimkehr zum Tode ■ Von Elisabeth Bronfen

Am Ende seiner Entdeckungsreise in die Abgründe des Geschlechterstreits wird Lester glücklich

Ein Vater hält in seiner Wohnstube sein eigenes Kind gefangen. Mit einem Gewehr droht er es zu erschießen. Vor der geöffneten Wohnungstüre kauert indessen ein Verhandlungsspezialist, der versucht, den gewaltsüchtigen Mann mit seiner Redekunst davon zu überzeugen, seine Geisel freizulassen. Der Vater erklärt sich dazu bereit, aber nur unter der Bedingung, dass ihm an Stelle des Kindes seine Ehefrau gebracht wird. Vor deren Augen will er sich erschießen. Mit seinem Schritt über die Schwelle verwandelt Danny Roman (Samuel L. Jackson) diesen Ort familiärer Gewalt in den Schauplatz eines Männerkampfes. Wo Worte versagen, können nur Gesten der gegenseitigen Gewalt Erfolg haben.

Die Handlung von F. Gary Grays Film „Verhandlungssache“ („Negotiator“) lebt davon, dass der Held wenige Szenen später die Seiten gewechselt haben wird. Fälschlich angeklagt, seinen Partner ermordet zu haben, hält er nun seinen Chef sowie drei seiner Mitarbeiter im Büro fest, um seine Unschuld zu beweisen.

Fast verstohlen bietet uns der Film noch ein zweites Bild der Entmächtigung, die dem amerikanischen Mann mitten im eigenen Heim droht. Ein Spezialist erhält den Auftrag, sofort an den Schauplatz der Geiselnahme zu kommen. Und zwar bezeichnenderweise während er selbst in einen Kampf der Geschlechter, der sich mitten in seiner Wohnstube abspielt, verwickelt ist. Ohne zu zögern kehrt er seinem trauten Heim den Rücken zu, um seiner Niederlage zu entkommen. Ironisch bemerkt sein von Kevin Spacey gespielter Kollege, dass er mit seinen Überredungskünsten wohl überall, außer bei der eigenen Familie, Erfolg habe. Tatsächlich konnte er weder seine Frau davon überreden, das Schlafzimmer zu verlassen, in das sie sich infolge eines Familienstreits eingesperrt hat. Noch gelang es ihm, seine Tochter davon zu überzeugen, ihr Telefonat zu unterbrechen, um sich bei ihrer Mutter zu entschuldigen.

Die unter der großen Geste der Aufklärung eines Polizeiskandals leicht übersehbare Szene des häuslichen Widerstreits würde einem nicht auffallen, wäre das dort entfaltete Muster für das Hollywood-Genrekino nicht so paradigmatisch. Wie der amerikanische Filmkritiker Michael Wood erklärt, ist Amerika nicht so sehr ein home für jeden als ein universaler Traum von home, dessen Reiz bedingt, dass er nie erfüllt wird: „Die Filme bringen die boys zurück, hören aber in dem Augenblick auf, wo sie zurückgekehrt sind; denn home, jenes viel gerühmte All-american-Ideal, ist eine Art Tod und eine entstellte Rechtfertigung für das ganze Herumwandern.“

Ob im Western, im Kriegsfilm oder im Psychothriller, die Helden setzen sich für die Aufrechterhaltung der häuslichen Welt ein. Sie gehen an die Front, um für die Heimat zu kämpfen, oder stoßen in die feindliche Prärie und den urbanen Jungle vor, um ihre Wohnstätte vor Bedrohungen zu schützen. Doch es sind die Frauen – die Verlobten, die Ehegattinnen und Mütter –, die in den Küchen, den Wohnstuben und den Veranden walten. Den Männern bleibt hingegen nur die Möglichkeit, unter Beschneidung ihrer Macht dort zu verharren oder aber vor diesem Ort immer wieder zu fliehen.

Nun stützt diese Aufteilung zwischen einem weiblich besetzten home und dem vom amerikanischen Kinohelden beherrschten Schlachtfeld die in seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts von Hegel vorgestellte These über die Notwendigkeit des Krieges. Der Philosoph macht den Vorschlag, dass der nach außen getragene Kampf dem Helden verhelfe, eine innere Unruhe der Gemeinschaft zu verhindern. Wie klar diese Unruhe als Kampf der Geschlechter zu verstehen ist, hebt Hegel hervor, wenn er von der von Frauen verwalteten Welt des nur scheinbar trauten Heims behauptet, in ihr würde Universales und Allgemeines in differenzträchtige individuelle Einzelheiten zerfallen. Die Weiblichkeit stelle somit die Verkörperung eines „feindseligen Prinzips“ dar, gegen das sich der männliche Held auflehnen müsse.

Männer ziehen in den Krieg, um vor dem unlösbaren Widerstreit zu flüchten, der sie inmitten der vier Wände ihres Heims erwartet. Denn der Kampfschauplatz jenseits des trauten Heims entpuppt sich als Bühne einer einfachen Realopposition. Die dort ausgetragene Entweder-oder-Situation des Widerstreits fokussiert jene Differenz, die das Alltagsleben durchzieht: den in Schlafzimmern und Wohnstuben sich abspielenden gender trouble, für den es keine einfache Lösung gibt. Der Krieg garantiert sichere Distanz zur Fremdheit zwischen den Geschlechtern, die den Helden in seiner Wohnstube permanent heimsucht und dort nie überwunden werden kann.

Es braucht vielleicht einen fremden Blick, um die Geschichte der Gefahren, die den amerikanischen Mann im scheinbar trauten Heim erwarten, als schwarze Komödie zu inszenieren. In „American Beauty“, dem Erstlingswerk des britischen Theaterregisseurs Sam Mendes, spielt Kevin Spacey den seines Zuhauses beraubten Protagonisten. Diesmal spricht er aus dem Off: ein wieder auferstandener Geist. Mit verführerischer Ironie erzählt Lester Burnham davon, wie sein steriles suburban home zum Schauplatz des Todes werden konnte. Nicht er bedroht seine Frau und seine Tochter. Diese haben ihn derart entmächtigt, dass er sich nur noch wie ein lebender Toter vorkommt.

Seine von Annette Bening gespielte Gattin, die sich erfolglos als Maklerin durchzusetzen sucht, hat ihre ganze Energie darauf gesetzt, sich und ihr Heim den Fotografien von Lifestyle-Zeitschriften anzugleichen. So darf ihr Gatte die Musik, die beim Nachtessen gehört wird, nicht selber wählen, wie er sich auch im Wohnzimmer nicht frei bewegen kann – er könnte die Inneneinrichtung in Unordnung bringen.

Gegen die strenge Regie seiner Gattin kann er sich so wenig zur Wehr setzen wie gegen die Ablehnung, mit der seine Tochter ihm täglich begegnet. Auch Jane kränkt ihn tödlich, indem sie sich ihm gegenüber so verhält, als wäre er gar nicht anwesend. Mitten in seinem Heim zu einem Fremden geworden, dem die erbärmliche Leere seines Daseins nur zu bewusst ist, lebt Lester dennoch plötzlich wieder auf. In der besten Freundin seiner Tochter entdeckt er eine Verkörperung von Schönheit, die seinem Leben wieder Sinn zu verleihen verspricht. Fast erliegt er denVerführungskünsten Angelas, die nur zu bereit ist, ihn auf seiner Wohnzimmercouch zum Ehebruch zu verleiten.

Als Ausweg aus dem gender trouble, der so hartnäckig das Kinobild der amerikanischen Familie belagert, bietet auch Mendes die Sprache der Gewalt: einerseits die Todesarten, wie Ingeborg Bachmann jene subtilen Kränkungen nannte, die einen lebendig im Alltag begraben, andererseits den mit klaren Fronten ausgetragenen Zweikampf. Mit entwaffnender Schärfe macht er die Zerstörungslust sichtbar, die knapp unter der Oberfläche der scheinbaren Normalität, die Lester und seine Familie ihren Nachbarn nur vorspielen, lauert. Janes hilfloses Verlangen, dieser unwirtlichen Welt zu entkommen, führt nicht nur dazu, dass sie sich den Tod ihres Vaters herbeiwünscht. Auch die Beziehung zu Angela kehrt sich schlagartig in Hass in dem Augenblick um, da ihr klar wird, dass die Freundin es auf ihren Vater abgesehen hat. Carolyne entschließt sich ihrerseits nicht nur dazu, ihren Gatten zu betrügen. Sie will sich des Fremdkörpers, der ihre häuslichen Perfektion stört, regelrecht entledigen.

Nun wählt Mendes dem Erzählmuster entsprechend zwar die konventionelle Lösung des Männerstreits. Der von Chris Cooper gespielte Ex-Marine-Offizier, der nebenan wohnt, führt, als wäre er das Symptom der Frauen, deren Mordfantasien aus. Doch der diskrete Charme von „American Beauty“ lebt davon, dass Sam Mendes auch das Produzieren von Filmbildern als weitere alltägliche Todesarbeit mit inszeniert. Die Fremdheit im Haus der Burnhams ruft nämlich nicht nur Tötungsfantasien hervor. Sie inspiriert auch das Filmschaffen des Sohnes des Nachbarn.

Rickys Bilder durchkreuzen die ironische Erzählung, die Lester von seinem sinnentleerten Leben bietet, und kommentieren auf ihre Weise scharfsinnig den gender trouble, der sich hinter den weißen, von Rosen umrankten Gartenzäunen abspielt. Seine Kamera fängt die Eitelkeiten des Vaters ein, der, weil er sich in die junge Angela verliebt hat, nun in der Garage neben seinem Haus hartnäckig seinen Körper trainiert. Voyeuristisch lichtet sie auch die Tochter ab, die sich schüchtern, aber gleichzeitig bestimmt diesem Blick hingibt. Bei Ricky, der sie liebevoll anblickt und ihr gleichzeitig auf dem Fernsehbildschirm die nüchternen Bilder zeigt, die sein anderes Auge von ihr macht, findet sie die ersehnte Geborgenheit.

So entlarvend diese home-movies auch sein mögen, die wie Schatten der vorgegaukelten heilen Welt wirken: Nicht umsonst trägt der Film den Titel „American Beauty“. Neben der versteckten häuslichen Gewalt, die durch das tragikomische Spiel der Missverständnisse zum Vorschein tritt, geht es Mendes nämlich auch um die Schönheit, die der Banalität des Alltags innewohnt. Denn in einem entscheidenden Punkt unterscheidet sich Lester vom typischen amerikanischen Helden, der willentlich sein Heim flieht, sich ewig herumtreibt oder an fremden Schauplätzen den Tod findet: Am Ende seiner Entdeckungsreise in die Abgründe des Geschlechterstreits, auf der das traute suburban home errichtet ist, wird Lester tatsächlich glücklich.

Er sitzt am Küchentisch und lächelt über seine eigene Narrheit. Er hat seine diversen Aufbruchsfantasien durchgespielt und kann sich nun zurücklehnen, alle Ärgernisse von sich abstreifen und einfach mit sich in Einklang sein. Sein Tod wird von Mendes als Heimkehr in einen Zustand vollkommener Zufriedenheit inszeniert, als ein Augenblick der Erkenntnis, dass sein Leben doch ein erfülltes gewesen ist.

Zum Schluss verschmilzt die selbstironische Stimme Lesters mit Rickys cinema verité. Einmal hatte der Amateurfilmemacher seiner Freundin Jane die Aufnahme einer Plastiktüte gezeigt, die im Wind herumwirbelt, ohne recht vom Fleck zu kommen. An diesem gewöhnlichen Alltagsereignis macht sich für ihn die Schönheit der Welt als Quelle seines filmischen Schaffens fest. Nicht zufällig greift Mendes dieses Bild am Ende seiner Erzählung auf und setzt es als Hintergrund ein – für Lesters Abschied. Von der Magie des Augenblicks, in dem alle Streitigkeiten für einen Moment aufgehoben, wenn auch nicht getilgt sind, lebt die Heiterkeit, mit der „American Beauty“ ausklingt. Kevin Spacey ist tatsächlich zu Hause angekommen. Dass er von dieser Heimkehr nur als Geist erzählen kann, zeigt natürlich, wie unheimlich das american home trotzt der zelebrierten Schönheit des glücklichen Augenblicks bleibt.„American Beauty“. Regie: Sam Mendes. Mit Kevin Spacey, Annette Bening, Thora Birch u. a. USA 1999, 122 Min.