Professor Korte und die Chips

Er gehört zu den Stars unter den Chipdesignern

Bernhard Korte kann sich für vieles begeistern. Er hat einen Faible für die Künstler und Architekten des Bauhauses. Er sammelt Rechenmaschinen aller Arten. Und manchmal betätigt er sich als Bauleiter. Ausgefallener können Hobbys kaum sein. Und sie alle haben auch noch einen gemeinsamen Nenner: das Arithmeum.

Den Bau des neuen Museums in Bonn überwachte Korte persönlich. Dort kennt er jede Schraube. Die Ausstellungsstücke im Inneren zeugen von seiner Rechnerleidenschaft. Und das Interieur im Stil der Konstruktivisten und Bauhäusler spricht für sich. Im Hauptberuf ist Bernhard Korte Professor für Mathematik. Seit 1971 erforscht und lehrt er deren „diskrete“ Seiten an der Universität Bonn. Inzwischen ist der 61jährige eine Koryphäe auf dem Gebiet der Diskreten Mathematik und leitet ein gleichnamiges Forschungsinstitut. Verschwiegen ist diese Disziplin ganz und gar nicht. „Das ist die Mathematik der diskreten, also unterscheidbaren, genau definierten Zustände“, erklärt Korte. Hier geht es um ganze, endliche Zahlen. Unendliches, wie etwa eine Kurve, die aus unzähligen Punkten besteht, hat da keinen Platz.

Die Probleme, denen sich diese Mathematik mit Hilfe komplizierter mathematischer Formeln widmet, veranschaulicht der Professor gern anhand eines Beispiels. „Nehmen Sie an, ein Handlungsvertreter soll 30 Städte besuchen. Wie stellt sich dieser Mann eine optimale Reiseroute zusammen, ohne eine Stadt zweimal zu besuchen?“

Wer jetzt zu Stift, Papier und Landkarte greift und alle möglichen Routen durchprobieren will, muss sich Zeit nehmen. „Dafür bräuchte heute selbst der schnellste Computer zehn hoch zwanzig (10[20])Jahre“, erklärt der Professor. „Das ist immerhin eine Zahl mit 20 Nullen.“ Die Diskrete Mathematik hingegen greift auf Algorithmen zurück.

Dem Handlungsreisenden hat Korte längst eine optimale Tour berechnet. Heute widmet er sich anderen Aufgaben. Er verbessert Computerchips. Dabei hatte der Mathematiker noch vor zehn Jahren keine Ahnung vom Innenleben moderner Hochleistungsrechner. Damals geriet er am Rande einer Tagung an einen Ingenieur von IBM. Die dortige Industriemannschaft hatte Schwierigkeiten, Millionen von Transistoren optimal auf einem Siliziumplättchen von der Größe eines Daumennagels zu plazieren. Zumal all diese Halbleiter auch noch auf dem kürzesten Weg miteinander verdrahtet werden mussten. Korte brachte damals die Diskrete Mathematik ins Spiel. Der Rest ist schon Geschichte: IBM schickte ein kleines Teilstück des neuzuentwickelnden Chip nach Bonn, und die Forschungsgruppe um Korte entwickelte ein Chipdesign, das um 30 Prozent besser war, als alle vorherigen Versuche.

Seither besteht zwischen IBM und den diskreten Mathematikern in Bonn eine intensive Kooperation in puncto Forschung. 90 Hochleistungschips haben Korte und seine Mannen inzwischen für die Amerikaner entwickelt. „Chips sind wohl die komplexesten Strukturen, die der Mensch bisher ersonnen und gebaut hat“, sagt der Professor nicht ganz ohne Stolz, und relativiert diese Aussage gleich wieder. „Dennoch sind sie letztlich extrem simpel und einfach.“ Heute zählt Korte zu den Stars unter den Chipdesignern. Elitehochschulen wie die Princeton University haben ihm längst eindeutige Angebote unterbreitet.

Doch Korte blieb seiner Uni treu. Schwer fiel ihm das kaum. Immerhin spendierte die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen dem Spitzenforscher mit Unterstützung des Bundes den 22 Millionen Mark teuren Neubau, in dem heute Institut und Arithmeum untergebracht sind.

Hier, im dritten Stock, residiert Korte in einem rund 50 Quadratmeter großen Büro. Einen Computer sucht man hier vergeblich. Korte diktiert, und auch im Internet lässt er lieber surfen.

Der Datenautobahn kann der Professor eh nicht sonderlich viel abgewinnen. „Da findet man unendlich viel Mist.“ Letztlich, so glaubt er, „ist dieses ganze World Wide Web doch eine Modeerscheinung“. Und da er anschauliche Vergleiche liebt, greift Korte auf die „Schmuckstücke des Kontors“ zurück. Diese winzigen Rechenmaschinen waren um 1890 der letzte Schrei. Auf den Pulten der Kontore standen sie, wunderschön anzusehen, in kleinen Schmuckkästchen. Manchmal zierte ein kleines Abziehbildchen mit einem Rosengesteck den Deckel. Allzu praktisch waren die Geräte nicht. Sie konnten nur einfach Zahlen addieren. Und das machten sie so langsam, dass so mancher Prokurist schneller war, wenn er den Kopf zum Rechnen benutzte.

„Mit dem Internet ist es heute genauso“, meint Korte. „Wer was auf sich hält, hat einen PC und surft durchs World Wide Web.“ Dabei stößt er dann auf eine Flut von unnützem und teils auch nützlichem Wissen. Und was hat er davon? Nichts, meint Korte. Denn Wissen ist nur die eine Seite der Medaille. „Verstehen tut man noch längst nicht alles, was man weiß.“

Karin Flothmann