Mehr Beethoven als Bolle

Berlin ist zu alt: Deshalb setzt das Sony Center am Potsdamer Platz auf gehobenes Klassik-Entertainment und Museumspädagogik

Die Firma hat sich verrechnet. Die neue Hauptstadt ist viel älter, als Sony bei seiner Übersiedlung an den Potsdamer Platz angenommen hatte. Und zwar im Durchschnitt 39,6 Jahre. Damit ist Berlin Schlusslicht auf der Jugendlichkeitsskala europäischer Metropolen. Für den Konzern muss die Erkenntnis schmerzlich gewesen sein: Wie soll ein Computerspiele- und HiFi-Multi erwachsene Menschen unterhalten, die bereits über ihre Midlife-Crisis grübeln?

Die ersten Konzepte waren nach der demografischen Erhebung jedenfalls hinfällig. Nun gibt es im neu eröffneten Sony Center keine Ballerspiel-Ecke und auch keine „Kinderlandschaft für interaktives Spielen“, wie es 1996 noch geheißen hatte. Denn der Berliner, das haben Umfragen offenbar ergeben, steht auf anspruchsvolle Freizeitbeschäftigung: Er geht in die Oper, ins Kino oder ins Theater und will nichts von Playstations wissen, wenn er sich amüsiert.

Mehr Beethoven als Bolle. Deshalb kann man ab heute auch in Mitte ein Symphonieorchester virtuell dirigieren, zu wabernden Syntheziserklängen „Cirque du Soleil“ in 3 D anschauen oder mit dem gelben Unterseeboot der Beatles ins animierte „Pepperland“ abtauchen.

Trotzdem ist das 2.400 qm große Areal im voll verglasten Hauptgebäude sehr modern. So modern, dass es einen friert. Zumindest im Souterrain. Was immer die Umluftanlage in den acht zusätzlichen Muliplex-Kinosälen an Umluft umlüftet, es zieht: auf den Gängen, vor den Toiletten, an den Bars und auf der digitalen Spielwiese, die sich „Music Box“ nennt. Dort hat Sony in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe sowie den Berliner Philharmonikern einen Themenpark aus Klängen aufgebaut. An extrem nutzerfreundlichen „Infoterminals“ kann man sich durch die Geschichte der Klassik zappen. Im 30-Sekunden-Rhythmus erklären hochrangige Professoren, wie alt das Holz einer Bratsche sein muss oder warum es selbst einem Paukenspieler Spaß macht, wenn er bei Strawinskys „Le sacre du printemps“ in der letzten Reihe trommelt.

Nebenan fiepen elektronische Beats von Tangerine Dream, zu denen einige Teenager mit den Armen rudern. Die Bewegungen werden von einer Kamera aufgezeichnet, per Computer mit psychodelischen Effekten versehen und zeitgleich auf eine Leinwand projiziert. Dann tanzen die verzerrten Figuren wie in einem Spätsixties-Clip aus dem Beatclub. Der Rest der Installationen ist schwer museumspädagogisch ausgerichtet: Es gibt eine Säule, die mit akustischen Beispielen erklärt, wie Blasinstrumente funktionieren; es gibt einen Computer, der bunte Töne ausspuckt, wenn man ein Knöpfchen drückt. Wie dann die seltsamen Teletubbies-Melodien zu Stande kommen, versteht man allerdings nicht, dafür geht alles viel zu schnell.

Für das „Beatles Yellow Submarine Adventure“ muss man dagegen sehr viel Zeit mitbringen. Noch hakt es offenbar in der Hydraulik, mit der das zimmergroße Bootinnere durch die animierte Landschaft aus dem Zeichentrickfilm gehievt wird. Und hier wird einem erstmals auch das technisch Machbare sympathisch – wegen seiner Grenzen. Der Kapitän aus Pepperland, der einen beim Einsteigen begrüßt, sitzt irgendwo draußen hinter einer Kamera versteckt und unterhält sein Publikum als digitaler Bauchredner. Überhaupt ist der durchgestylte Bilderpark nur einen Katzensprung von den Amüsierhallen des Fin de Siècle entfernt: Wo früher an Kurbeln gedreht wurde, damit die Bilder laufen konnten, erledigen heute elektrische Schaltkreise die Arbeit. Das Publikum staunt und zieht weiter. Zum Popcornstand. Wie sonst überall auch am Potsdamer Platz. Harald Fricke