Achterbahn zwischen Zen und Zeitgeist

Auch Doris Dörrie hat den Buddhismus entdeckt – als echte Alternative zum Münchner Beziehungsgewurschtel. In ihrem neuen Film „Erleuchtung garantiert“ schickt sie zwei Brüder in die Abgeschiedenheit eines japanischen Klosters ■ Von Katja Nicodemus

Eigentlich hat sie’s, das Gefühl für den Augenblick, der einfach so da ist, zwingend, für sich allein. Und manchmal hat sie Angst davor. Wenn Doris Dörrie dem Moment misstraut, dann umzingelt sie das Glück mit lebensbejahenden Rockballaden oder Heiner Lauterbach spielt mit angeklebtem Schnauzer eine Comedy-Schwuchtel oder gestresste Menschen in teuren Einbauküchen sollen plötzlich komisch wirken. Man kann fast drauf wetten, auf diese Momente, in denen nichts stimmt, weil alles stimmen soll. Doris Dörries Filme sind emotionale Achterbahnfahrten, mal wahrhaftig, mal peinlich, und in genau diesem Auf und Ab meistens sympathisch.

Wenn sie sich auf den Augenblick verlässt, das heißt bei ihr auf die Schauspieler und das, was sie mit ihnen zusammen anstellen kann, dann gelingt ihr so etwas wie kürzlich die drei, vier großartigen Momente in „Bin ich schön?“, in denen sie mehr erzählt als andere (und manchmal auch sie selbst) in einem ganzen Film. Der Ehestreit Petri/Król im Stau zum Beispiel, sein spätpubertäres Schmunzeln, ihr geladenes Sticheln („Was ist so toll an den Frauen in Trinidad?“), die Kinder auf dem Rücksitz und bei allem Stress die Verbundenheit von zwei Menschen, die mindestens seit zehn Jahren zusammenleben. Oder das panisch verzerrte Gesicht von Gottfried John, der nach dem Selbstmordversuch seiner Geliebten das Blut vom weißen Wohnzimmerteppich schrubbt – der Augenblick, bevor die Frau heimkommt, kurz vor dem Sturz ins Bodenlose. Deutsche Miniaturen, psychosoziale Vignetten, das Konzentrat einer Beziehung.

„Augenblicke“ heißt ein einstündiger Dokumentarfilm, den Dörrie vor „Bin ich schön?“ gedreht hat. Ein Zwischenfilm über eine Zwischenzeit, ein Rückblick auf die Trauer um ihren Mann, den Kameramann Helge Weindler, und den langsamen Beginn des Lebens danach. Auch so eine Achterbahnfahrt. Wenn Dörries Stimme aus dem Off einfach ganz sachlich die Freundlichkeit des spanischen Krankenhauspersonals beschreibt, dann ist da dieses Gefühl für etwas, was sich nur erzählen lässt, indem man es nicht erzählt. Wenn sie dann wieder die Trost spendende buddhistische Lebenshaltung erläutert („eine Mandarine essen und an nichts anderes denken“), wirkt sie wie die Fernsehmoderatorin ihres eigenen Lebens.

On the road mit Rockmusik, Scherenschnitttheater mit der Tochter, Kochen für die Toten und Sinnieren über die Vergänglichkeit – Dörries „Augenblicke“ ist eine Mischung aus offensiver Trauer und unverklemmter Lebensfreude, Kitsch und Ehrlichkeit, Zen- und Alltagsphilosophie und damit so etwas wie das dokumentarische Vorspiel zu ihrem neuen Film „Erleuchtung garantiert“. Ein Film, der sich seinen Weg mit den Hauptfiguren sucht, vom Münchner Alltag durch Tokios Straßenschluchten in die meditative Monotonie eines buddhistischen Klosters. Es geht um zwei Selbstfindungen, mit allem, was das so mit sich bringt (auch an Zeitgeist-Klischees), und um die Annäherung zweier Brüder. Ein Film, der Dichotomien wie Stillstand und Bewegung, Geist und Materie, Eigentliches und Uneigentliches auf manchmal sehr münchnerische Weise verhandelt, sich über seine eigene Trendyness aber auch lustig macht. Wieder eine Achterbahnfahrt. Aber eine, die sich zwischendurch, während eines ausgedehnten Aufenthalts im japanischen Kloster Monzen, angenehm lange auf einer Geraden fortbewegt.

Am Anfang wieder die Miniaturen zweier Familien. Drei Kinder von null auf hundert, ohrenbetäubendes Geschrei am Morgen, ein Vater (Uwe Ochsenknecht), der das Chaos als Home-Movie festhält, und eine Ehefrau, die beim Milchaufwischen für sich beschließt, ihren Mann zu verlassen. Der andere Bruder (Gustav-Peter Wöhler) ist Feng-Shui-Experte. Die Szenen seiner Ehe, das sind bei Dörrie zwei, drei alberne Sketche. Er meditiert, sie sorgt sich wegen des undichten Zimmerspringbrunnens um den Fußboden. Sie nennt ihn Pürzelchen, er rollt die Augen. Aber dann wieder ein wie beiläufig mitgenommener Augenblick: Schweigend und mit müden Gesichtern sieht man die beiden nebeneinander in der U-Bahn sitzen.

Uwe, der von seiner Frau verlassene, sucht Hilfe beim esoterischen Bruder Gustav, und der nimmt ihn mit nach Japan. Bis die beiden im Kloster angelangt sind, muss man noch einiges hinnehmen. Dass sich zwei des Englischen mächtige erwachsene Männer in Tokio verlaufen, zum Beispiel, und zwar so hoffnungslos, dass sie abgebrannt und ausgehungert irgendwo am Rande der Bahngeleise in einem geklauten Zelt übernachten. Das hell erleuchtete einsame Zelt inmitten der dunklen kalten Großstadt, eine hell erleuchtete Oase, ein Bild, an dem mal wieder nichts stimmt, weil alles stimmt.

Irgendwie schaffen es Uwe und Gustav doch noch ins Kloster. Und mit dem Begrüßungsritual fügen sich die beiden, fügt sich der Film in den Lebensrhythmus der Mönche, das heißt in eine unendliche Folge von Ritualen, Meditationen, Putzzeremonien, Schweigestunden und kollektiven Entspannungsaktionen. Mit ihrer winzigen digitalen Kamera interessiert sich Dörrie nur noch für diese beiden unterschiedlichen Männer, die eigentlich erst jetzt, auf sich selbst zurückgeworfen und ohne es wirklich zu merken, zu Brüdern werden. Man beobachtet ihre erst gereizten, dann schicksalsergebenen Putzversuche, man belauscht Jungsgespräche, in denen sich plötzlich alles um die Mutter dreht, man schaut ihnen beim Blödeln zu oder wie sie einfach die Krähen nachmachen.

Eigentlich könnte alles ewig so weitergehen mit dem stundenlangen Schweigen und dem heiteren Brüder-Gewurschtel zwischen Tatami-Matten und Mittagsmeditation. Aber wie das so ist – irgendwo hinterm Horizont, hinter der Erleuchtung, hinter Tokio leuchtet immer noch München. Man sieht die beiden nicht mehr dort ankommen, man sieht sie nur kurz auf dem Weg. Und das ist noch mal ein wunderbar beiläufiger Augenblick.„Erleuchtung garantiert“. Regie: Doris Dörrie. Mit Uwe Ochsenknecht, Gustav-Peter Wöhler u. a. Deutschland 1999. 96 Min.