Konservativer Aufstand

Aus Wahltaktik verhindern Frankreichs Neogaullisten die Abstimmung über eine Justizreform ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Jacques Chirac hat wieder einmal aufgelöst. Drei Jahre nach seiner unglücklichen Entscheidung, vorzeitige Parlamentswahlen zu organisieren, die zur Niederlage seiner konservativen Freunde führte, trifft es dieses Mal den Kongress, der sich aus den Abgeordneten von Nationalversammlung und Senat zusammensetzt. Das Gremium, das nur zu Verfassungsänderungen und nur auf Initiative des Staatspräsidenten zusammenkommt, sollte am Montag in Versailles tagen. Einziges Thema: die Justizreform, die Chirac selbst bei seinem Amtsantritt angeregt hatte und die inzwischen von der sozialistischen Justizministerin Elisabeth Guigou ausgearbeitet wurde.

Offizieller Grund für die gestern per Dekret verkündete Absage sind laut Chirac die „fortbestehenden Blockaden, die die Reform gefährden“. Doch dahinter verbirgt sich ein kaum kaschiertes Aufbegehren der Konservativen, das sich – gewollt oder ungewollt – auch gegen den Staatspräsidenten und Gründer der neogaullistischen RPR richtet.

In den vorausgegangenen Tagen hatte zuerst die RPR, dann auch die konservativ-liberale UDF angekündigt, sie würden im Kongress dagegen stimmen. Letztlich blieben nur die Abgeordneten der rot-rosa-grünen Regierungsparteien übrig, die dafür stimmen wollten. Für die nötige Zweidrittelmehrheit im Kongress hätte das nicht gereicht.

Paradoxerweise hatten die Abgeordneten der Konservativen derselben Justizreform, gegen die sie im Kongress den Aufstand proben wollten, bereits im Herbst 1998 in den beiden Kammern des Parlaments zugestimmt. Erst angesichts der nahenden Kommunal- und Präsidentschaftswahlen (2001 und 2002) und unter der Ägide der neu gewählten neogaullistischen Parteichefin Michèle Alliot-Marie, die ihre Leute zu „systematischer Oppositionspolitik“ auffordert, entdeckten die Konservativen ihre Opposition zu dem Vorhaben. Erst seit Ende vergangenen Jahres begannen ihre Sprecher, einzelne Punkte daran zu kritisieren. Unter anderem bemängeln sie, dass in der Justizreform nicht genügend richterliche Unabhängigkeit von der Regierung garantiert sei.

Ein „Nein“ des Kongresses zu der Justizreform wäre jedoch nicht nur für Staatspräsident Chirac eine schwere politische Niederlage gewesen. Auch für die Erfolg gewohnte rot-rosa-grüne Regierung wäre die angekündigte Ablehnung der Reform, für die sie seit langem wirbt, ein Rückschlag gewesen. Premierminister Lionel Jospin, der gestern das präsidentiale Dekret zur Absage des Kongresses unterschrieb, wies vorsichtshalber darauf hin, dass nicht seine Mehrheit, sondern die Opposition die „Blockaden zu verantworten“ habe und erklärte, dass er dies bedauere.

In Frankreich besteht seit Jahren ein weitgehender gesellschaftlicher Konsens darüber, dass eine Justizreform nötig ist. Das aus fünf Texten bestehende umfassende Reformvorhaben von Guigou sieht unter anderem eine größere Unabhängigkeit der Staatsanwälte von der Regierung vor, verringert die Einmischungsmöglichkeiten von Politikern in Personalentscheidungen bei Gerichten, verkürzt die Verfahrenslänge und schafft eine Instanz, die es den Citoyens möglich machen soll, die Arbeit ihrer Richter zu kontrollieren. Lediglich ein Teil des Gesamtvorhabens – der die Zusammensetzung und Kompetenz des Obersten Richterrates (CSA) regelt – macht eine Verfassungsänderung nötig. Und genau darum sollte es am kommenden Montag in Versailles gehen.

Sowohl Chirac als auch Jospin, genauso wie zahlreiche Sprecher ihrer politischen Lager erklärten gestern, sie hofften, dass die Justizreform dennoch stattfinden werde. Doch konkrete Verbesserungsvorschläge für die Reform liegen bislang nicht vor. Und ein Zusammentreten des Kongresses wird politisch immer heikler, je näher die nächsten Urnengänge in Frankreich rücken.