Die Akte X der Musikindustrie

Jede Verschwörung nimmt irgendwann ein Ende: Nachdem es drei Jahre in den Tresoren einer großen Plattenfirma zurückgehalten wurde, erscheint jetzt endlich das legendäre Milch-Album „Socialpark“ ■ Von Daniel Boese

„Die Songs sind so exotisch und so speziell, dass sie auch heute noch als rundes Ganzes dastehen“

Neues aus dem Sozialpark Deutschland: Nach einem dreijährigem Hin und Her erscheint nun doch die sagenumwobene CD „Socialpark“ der Berliner Band Milch. Von einem der besten Alben der Neunziger war da schon die Rede, Clubmusik und deutsche Texte mit Popappeal versprachen Fame und Money, und Milch wurden als die neuen Pet Shop Boys bezeichnet. Den Vintage-Sound hatte Harold Faltermeyer auf seinem Anwesen in der Nähe von München produziert, einer deutschen Southfork Ranch.

Dieser Ort aber, die Ewings lassen grüßen, scheint die weitere Geschichte von „Socialpark“ nicht wenig beeinflusst zu haben, allenfalls Akte X und der Illuminatenorden können da mit noch verworreneren Theorien, Intrigen und Gerüchten aufwarten. Fakt ist, dass am Ende der Produktion Ralf Maria Zimmermann, die eine Hälfte des Duos Milch, aussteigt und sein Partner Armin allein weitermacht.

Doch bei Motor Music, der für Vorschüsse und Produktionskosten zuständigen Plattenfirma, will man ein Duo, keinen Solokünstler, und so hält man Armin von Milch in einem Knebelvertrag gefangen: „Socialpark“ erscheint nicht und Armin von Milch muss zukünftiges Material exklusiv an Motor abgeben. Die Motive bleiben unklar, die böse, große Plattenfirma ist mal wieder der Feind, doch, wie es scheint, nicht zu Unrecht: Auch andere Plattenfirmen veröffentlichen das Album nicht.

Und so sieht Armin von Milch auch heute die Situation: „Die Praktiken der Musikindustrie gehen an dem Gedanken vorbei, dass es eigentlich um Musik geht, wenn man solche Musik den Leuten vorenthält“. Obwohl dieselbe Musikindustrie zur gleichen Zeit mit Bands wie Tocotronic oder den Sternen zeigt, dass gute Indiebands keineswegs böswillig unter Verschluss gehalten werden.

Gerade das Hamburger Label L’age d’or (auf dessen Elektronik-Sublabel Ladomat auch die ersten Platten von Milch veröffentlicht wurden) beweist immer wieder aufs Neue, dass die Zusammenarbeit mit großen Plattenfirmen wie Sony und auch Motor Music klappen kann und keinen „Ausverkauf“ bedeutet.

Bei Motor verstand man damals nicht so richtig, worin das Problem im „Socialpark“ bestehen sollte, schildert Charlotte Goltermann, damals die verantwortliche A & R-Managerin bei Motor. Nach dem Split von Armin und Ralf habe man sich darauf geeinigt, dass bei Motor die Platte nicht erscheine und „Armin diese Platte quasi haben kann“.

Nun hat Armin sie, ein paar Jahre später halt, doch, wo sie erscheint, und wer sie vertreibt, ist immer noch nicht ganz klar. Wahrscheinlich bringen DJ Hells Münchener Label Gigolo Records und die kleine Frankfurter Agentur Saas Fee das Album gemeinsam heraus. Zu spät? Ist da ein Künstler verraten und verkauft worden? Und das, weil man bei Motor statt mit Milch lieber mit Andreas Dorau einen trinken ging (eine immer wieder gern aufgestellte These für die „Socialpark“-Malaise)? Oder kann Armin von Milch zwischen Wahrheit, ein paar Verschwörungstheorien und gut inszenierten Legenden gar nicht mehr so genau unterscheiden?

Schließlich will „Socialpark“ auch jetzt promotet werden, und schließlich basteln gerade in Berlin genug andere an den offenen Enden von Clubmusik: seien es Jazzanova mit groovendem NuJazz oder Stereo Total mit Elektronik-Trash. „Socialpark“ rockt aber immer noch, ohne Rock natürlich, und ist sicherlich die beste Platte von Milch. „Es ist zeitlos gute Musik, die zwar ganz konkreten Zeitbezug nimmt, aber die Songs und die Ästhetik sind so exotisch und so speziell, dass die Musik für sich als rundes Ganzes dasteht“, sagt Armin.

„Socialpark“ nimmt heute zwar nichts mehr vorweg, wie es das vor drei Jahren getan hätte, so zum Beispiel das Vocoder-Revival nach Chers „Believe“. Dem Spaß an der Musik tut das aber keinen Abbruch, viele verspielte Samples bauen Bezüge in alle Richtungen auf: natürlich zu den Achtzigern, mit original Old-School-Elektrosounds oder Eurodisco auf den Spuren von St. Etienne. Auch Berlin spricht hier und erzählt von den illegalen Clubs nach der Wende. In „Ruf doch einfach mal an“, dem Song mit Hitpotenzial, bewegen sich Milch von St. Pauli über Schwabing nach Berlin, finden dabei Disneyland und betrachten den „Socialpark, Germany“. Das ist definitiv süße Musik mit Plastikcharme, natürlich zum Tanzen, mit einer Four-to-the-floor-House-Bassdrum. Und der Germanistikstudent in uns freut sich über die verdrehten deutschen Texte.

Milch spielen heute ab 22.30 Uhr, Maria am Ostbahnhof. „Socialpark“ ist ab sofort erhältlich über www.saasfee.de , eine Vinyl-EP „Milch The Motor Years 95–99“ erscheint im Februar auf Gigolo