Schuldgefühle ausgenutzt

Einer 74-jährigen Rentnerin wurde eine wertvolle Vitrine gestohlen. Die Täter gabensich an der Haustür als Vertreter der Jüdischen Gemeinde aus. ■ Von Julia Naumann

Ein bisschen Angst hat sie jetzt schon: Wenn es an der Tür von Ilse Rotter (Name von der Red. geändert) klingelt, dann guckt die 74-Jährige lieber dreimal durch den Spion. Die dicke Kette an der Tür löst sie nur, wenn sie sich ganz sicher ist, das der Besucher von ihr nichts Böses will.

Als es an einem Donnerstagvormittag im Dezember an der Tür von Ilse Rotter läutet, ist sie arglos. Die alte Dame wohnt in einem in den Dreißigerjahren gebauten Häuserkomplex in Köpenick. In den einförmigen Häusern leben viele ältere Menschen, einige von ihnen wie Ilse Rotter ihr ganzes Leben lang.

Ein junger Mann steht vor der Tür, der „sehr höflich“ sein Anliegen vorträgt: Er komme von der Jüdischen Gemeinde und sammele Geld für die Köpenicker Synagoge, die wiederaufgebaut werden solle. „Das Wort Jüdische Gemeinde hat bei mir Schuldgefühle ausgelöst“, sagt die zierliche Frau und guckt bekümmert. „Obwohl ich in der Nazi-Zeit noch eine Jugendliche war und mir nichts vorwerfen kann.“ Sie habe sofort an die Pogromnacht 1938 denken müssen, an eingeschmissene Scheiben und brennende Synagogen. Sie macht die Tür auf. „Wenn sich jemand als Heizungsmonteur vorgestellt hätte, wäre ich misstrauisch gewesen.“ Zudem zeigt der Mann, der sich als Adam Rosental ausgibt, einen Ausweis, der ihn als Vertreter der Jüdischen Gemeinde ausgibt.

Als der gut angezogene Mann mit der freundlichen Stimme, der schätzungsweise Mitte 20 ist, im Flur steht, sagt er, dass er ihr etwas schenken wolle. Hinter ihm taucht ein weiterer Mann auf, angeblich ein Bruder, der einen großen handgearbeiteten Teppich hinter sich herzieht. „Ich wollte den nicht“, sagt Ilse Rotter. Doch die beiden Männer bleiben hartnäckig: „Wir gehen bald nach Israel, und der Zoll würde viel Geld für den Teppich verlangen“, begründen sie. Schließlich lässt sich Ilse Rotter mit dem Argument überzeugen, dass es Unglück bringt, „wenn Juden etwas verschenken und es wieder mitnehmen“.

„Alles ging so schnell“, erzählt die Rentnerin, die sich an jedes Detail präzise erinnern kann. Sie bittet die beiden ins Wohnzimmer, die Männer bekommen ein Glas Wasser, als sie es verlangen. Und dann holen die beiden zum entscheidenden Schlag aus. Auf sanfte Art.

Der eine Mann bittet Ilse Rotter, ihm die Biedermeier-Vitrine, die in der Ecke des Zimmer steht, „für eine jüdische Ausstellung auszuleihen“. Er redet sie mittlerweile mit „Mutter“ an. Die Ausstellung solle in der Nähe der Wohnung eröffnet werden. Ilse Rotter, die sich in Köpenick sehr gut auskennt, sagt, sie wisse nichts von einer Ausstellung. „Wir annoncieren nicht“, sagt der Mann. „Sonst könnten Neonazis kommen.“ Das überzeugt Ilse Rotter.

„Ich erlaubte ihnen, die Vitrine auszuleihen“, berichtet die ehemalige Schneiderin. Doch nur unter der Bedingung, dass sie mit dabei sein dürfe, wenn das wertvolle Erbstück aufgestellt werde. Die Männer tragen das Möbel nach draußen, Rotter zieht derweil Mantel und Schuhe an. Als sie vor die Tür tritt, ist kein Auto mehr zu sehen. „Da wurde mir schlagartig klar, dass ich betrogen worden bin“, sagt Ilse Rotter. „Ich stand plötzlich wie unter Schock.“ Sie ruft ihre Schwester an, beide verständigen die Polizei. Die nimmt Fingerabdrücke, untersucht den Teppich. Rotter muss aufs Revier, um Fotos von Verdächtigen zu identifizieren. Bis heute sind die Täter nicht gefunden.

Sechs Wochen nach der Tat hat die alte Dame ihre Energie wiedergefunden. „Im Nachhinein kommt mir das alles vor wie ein schlechter Krimi“, sagt sie und lächelt etwas gequält. „Ich habe jetzt viel weniger Vertrauen zu Fremden als früher.“ Und die Vitrine fehle ihr auch. Doch einen Trost hat sie: den Teppich, der jetzt ihr Wohnzimmer ziert. Die Polizei erlaubte ihr, das Stück zu behalten. Ilse Rotter sagt: „Geschenkt ist eben geschenkt.“