Wut und Gospel

■ Aufstieg und Fall der Allianz zwischen Reggae und Politik: Eine Werkschau erinnert an Jamaikas Polit-Prediger Max Romeo

„Es gab zwei Wege, die den Rude Boy aus den Ghettos von West Kingston führten: eine Hit-Single oder eine Polizeikugel.“ Deutliche Worte, mit denen der Journalist Stephen Davis das Jamaika der späten 60er schilderte. Rude Boys hörten damals entweder noch Ska oder schon Rock-Steady, trugen eng sitzende Mod-Anzüge, hatten schnellen Sex und ließen sich beim Prügel-Austeilen nicht lumpen – die Gesetze der Straße wiesen den Weg.

Auch Max Romeo war zunächst ganz Rude Boy. Noch 1969 kletterte sein Rock-Steady-Stück „Wet Dreams“ auf Platz 10 der britischen Charts, trotz Indizierung durch die BBC. Für Romeo sollte dies die letzte Tat im Geist der Straße sein: Im selben Jahr formierte er eine Band und nannte sie The Hippy Boys: Der politisierte Reggae-Teacher war geboren.

Das britische Label Blood And Fire, das sich mit seinen Werkschauen wichtiger Reggae- und Dub-Musiker einen Namen gemacht hat, dokumentiert mit „Open The Iron Gate, 1973–1977“ den politisiertesten Ausläufer des Reggae, dessen Held Max Romeo heißt.

Das Verhältnis von Reggae und Politik ist bekanntlich eher verschwommen. Zwar galt Reggae als eine Musik der Unterdrückten, doch speiste sich die Guerillapose des klassischen Reggae der 70er-Jahre mehr aus einer religiösen, gefühlten Innerlichkeit als aus intellektueller Analyse. So sah Bob Marley im panafrikanischen Rastafaritum einen „dritten Weg“ und ergänzte: „Wir brauchen weder Marx, Lenin oder Hegel. Wir wollen es einfacher. Wir kämpfen nicht um Ideologien.“

Nichtsdestotrotz sympathisierten viele auf Jamaika zu dieser Zeit mit Michael Manley – einem linken Politiker, der eher an einen Realpolitiker wie Willy Brandt erinnerte als an den von den Rastas verehrten äthiopischen Despoten Haile Selassie. 1972 gewann Michael Manley als Führer der links-sozialdemokratischen Peoples National Party (PNP) die Wahl zum Präsidenten und versprach die Schaffung sozialistischer Verhältnisse. Als Wahlkampfsoundtrack entschied Manley sich für Max Romeos „Let The Power Fall On I“. Im Booklet des Samplers wird Romeo mit den Worten zitiert: „Das Stück war ursprünglich nicht für eine politische Kampagne gedacht, aber Michael Manley sah, dass es sich dafür eignete. Sie organisierten für mich eine Tournee über die ganze Insel – Port Antonio, Sav-La-Mar, Mandeville – und sicherten so ihren Wahlsieg.“

Als Sampler basiert „Open The Iron Gate“ zu weiten Teilen auf Romeos Platte „Revelation Time“, seinem Klassiker, an dem er als Endzwanziger zu arbeiten begann. Manleys Aufstieg und sein späterer Fall wurden hier distanziert kommentiert, gleichzeitig gab diese Ära Romeo den Antrieb zu seiner kreativ produktivsten Phase. Bei aller stilistischen Eigenständigkeit, die ihm zweifelsfrei gelingt, zeugt Romeos Musik auch von einem gewagten Spagat zwischen sozialistischem Realismus und Agitprop auf der einen und musikalischer Eigendynamik auf der anderen Seite. Denn Romeo vereinte vieles in seiner Person. Sich selbst verstand er als politischen Erzieher. Gleichzeitig war er, als guter Freund Lee Perrys, bekiffter Widerpart für dessen psychedelische Visionen. Als Sänger wiederum war er stark von Jamaikas harmoniesprühender Gospeltradition beeinflusst. Der Wille, all dies zu verbinden, war vorhanden. Nicht umsonst verstand Romeo „Revelation Time“ als eines der ersten Konzeptalben des Reggae, das all die widerstrebenden Ausdrucksmittel zur revolutionären Message verbinden sollte.

Beim chronologischen Durchhören fällt der Wandel im Tonfall der Texte auf. Der Aufstieg Manleys wird erst herbeigesungen, dann wohlwollend kritisiert. Später folgt der wütende Romeo des Jahres 1975, der den Zerfall der Utopie mit Versen begleitet, die ein Robespierre den Sex Pistols auf den Leib hätte schreiben können. Der Oberschicht des Landes, die Manley blockierte, droht er: „Givin out my warning . . . / Now you rich people listen to me / weep and wail over the miseries / That are coming, coming up on you.“

Die Militanz der Inhalte korrespondiert mit einer bizarren Süßlichkeit der Form. Romeos Gospelgesang ist das Gegenteil einer gerotzten Abgrenzung. Dass der schleichende Übergang zur Schlagerhaftigkeit trotzdem nicht stattfindet, verhindern die karg instrumentierten Arrangements, über die etwa Lee Perry wachte. Entschieden im Text, unentschieden in den Melodien, schwanken viele Romeo-Stücke zwischen politischem Rigorismus und ausgleichenden Tönen christlichen Ursprungs: Das Zerbrochene wird gefügt – auf Kosten des Songwritings. Ausnahmen: Mit „Revelation Time“, „A Quarter Of L’cense“ und „Melt Away“ schüttelt Romeo einige überraschend talentierte Stücke aus dem Ärmel. Am interessantesten erscheinen allerdings die Dub-Remixe zweier Tracks, bei denen Romeos Gesang kurz aufblitzt und dabei die Berechenbarkeit seiner Melodielinien versteckt. Derweil spielt die Rhythmussektion auf den Punkt, als gälte es, den Funk der Meters jamaikanisch einzukleiden.

Politisch sollte all dies nicht viel nützen. Ab Mitte der 70er-Jahre machte die rechtsgerichtete Opposition um Edward Seaga gegen Manley mobil. 1980 gewann sie die Wahl und trieb, vom IWF angeleitet, das Land in eine Schuldenspirale. Nur eine Branche verzeichnete seit den Achtzigerjahren Zuwächse: die Musikindustrie. Dancehall und Ragga wurden zum Soundtrack des Paradigmenwechsels. Im folgenden Jahrzehnt brachten sie die Rückkehr zu den ewigen Rude-Boy-Werten zum Klingen. Nils Michaelis

Max Romeo: „Open The Iron Gate“ (Blood and Fire/Indigo)