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Historischer Besuch in Ankara

Erstmals seit Jahrzehnten reist ein hochrangiger griechischer Politiker in die Türkei. Die Nachbarstaaten wollen ihre alte Feindschaft begraben ■ Aus Istanbul Dilek Zaptçioglu

Der Besuch ist eine Sensation: Mit Georgios Papandreou kam gestern nach 38 Jahren erstmals ein hochrangiger Regierungsvertreter aus Athen in die Türkei. Und er brachte eine 70-köpfige Delegation mit, nicht die übliche Bürokratenriege, sondern auch führende Köpfe der griechischen Wirtschaft. Darunter der Bankier Theodoros Caracas, der in Istanbul eine Filiale eröffnen will, oder Socratis Cokalis, der größten Unternehmer Griechenlands.

So stand alles im Zeichen einer „vorsichtigen Annäherung“ zwischen den lange verfeindeten Nachbarn. Ernste Konfliktthemen wie Zypern und Hoheitsrechte in der Ägäis wurden galant übergangen; beiden Ministern kommt es darauf an, die seit den schweren Erdbeben im vergangenen Jahr in beiden Staaten begonnene Entspannungsphase nicht zu zerstören, sondern „Schritt für Schritt das lang ersehnte Vertrauen wieder aufzubauen“, wie Papandreou auf der gestrigen Pressekonferenz formulierte.

Bei seiner Zusammenkunft mit seinem Amtskollegen und „Freund“ Ismail Cem gab sich Papandreou besonnen wie optimistisch – und er unterzeichnet fleißig: Verträge über Terrorismusbekämpfung und Umwelt, Tourismus und Investitionsschutz sind erste konkrete Ergebnisse der neuen türkisch-griechischen Freundschaft. Der „gemeinsame Kampf gegen den Terror“ ist eine Konzession an die türkische Seite, die Aktivitäten der Kurdischen Arbeiterpartei PKK auf griechischem Boden verbieten lassen will. Papandreou sprach allgemein von Menschenrechten und trat noch einmal gegen die Todesstrafe ein. Er vermied es jedoch, Kurden oder PKK beim Namen zu nennen, was in Ankara beim ersten offiziellen Besuch sicherlich zu einem Eklat geführt hätte. Stattdessen verwies er auf „vorhandene EU-Positionen“, die Griechenland teile.

Der türkische Außenminister Cem, ebenfalls sehr vorsichtig in seiner Wortwahl, machte auf dem Feld der Sicherheit interessante Vorschläge, auf die Athen bald antworten will: So soll eine Hotline zwischen beiden Generalstabschefs in Konfliktsituationen Abhilfe schaffen. Beide Seiten sollen die Zahl militärischer Übungen in der Ägäis reduzieren und sogar gemeinsame Manöver veranstalten. Kampfjets sollen unbewaffnet fliegen und Marineschiffe gegenseitig Häfen anlaufen können. Cem lud auch im Namen von Ministerpräsident Bülent Ecevit den griechischen Premier Costas Simitis nach Ankara ein.

Unglaublich, aber wahr ist auch, dass die Türkei von den EU-Erfahrungen Griechenlands profitieren will. So sollen die Griechen in Arbeitsgruppen den Türken von ihren damaligen Anpassungsproblemen erzählen, ihnen zeigen, wie sie am besten an EU-Gelder herankommen und worauf sie bei der rechtlichen und verwaltungstechnischen Angleichung aufpassen müssen. Papandreou hatte sogar das ähnliche Temperament bedacht und machte den Vorschlag, die Fußballeuropameisterschaft 2008 in beiden Ländern austragen zu lassen: in Istanbul, Ankara, Athen und Saloniki.

Unzufriedene gibt es natürlich auch: Den Hardlinern beider Staaten sind die Gespräche und Vereinbarungen nur leeres Geschwätz, solange nicht die großen Probleme Zypern und Ägäis im Sinne der jeweiligen Seite gelöst werden. Der Verweis der Minister auf die nächste indirekte Gesprächsrunde über Zypern am 31. Januar in Genf reicht ihnen nicht.

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