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Wohliges Kirschkernsäckchen

Tasten, Fühlen, Wahrnehmen: Eutonie nach Gerda Alexander soll Spannungen bewusst und ausgleichbar machen  ■ Von Sandra Wilsdorf

Liegen, ausstrecken, entspannen, fühlen, mit den Händen über den Boden tasten, über die Umgebung, den eigenen Körper: Spüren, was da ist. Dabei darf man sich drehen, aufrichten, herumrollen. Das soll Spannungen bewusst machen, soll sie ausgleichbar machen. Und es soll gesund sein: Eutonie heißt das und kommt von griechisch „eu“ für „gut, angemessen“ und „tonos“ für „Spannung“, also ist Eutonie die Lehre von der guten Spannung.

Um die zu lehren hat Karin Coch vor einigen Jahren ihre Stelle als Lehrerin für Naturwissenschaften und Arbeitslehre an den Nagel gehängt und zunächst zwei Jahre berufsbegleitend und dann zweieinhalb Jahre in Vollzeit alles gelernt, was man können muss, um diplomierte Eutoniepädagogin G.A. zu sein.

Auf diese Initialen legt Karin Coch viel Wert, denn nur wer diese lange Ausbildung hat, darf sie hinter seinem Titel tragen. Sie stehen für Gerda Alexander, eine Reformpädagogin, die diese körperorientierte pädagogische Methode zur Entspannung vor etwa 60 Jahren entwickelt hat. Alexander, 1908 in Wuppertal geboren, hat in den 20er Jahren neue Tanz- Rhythmik- und Bewegungsformen entwickelt, ist 1933 nach Dänemark ausgewandert und hat dort 1940 ihre eigene Schule gegründet. Heute werden nach ihrer Methode Therapeuten an drei Gerda-Alexander-Schulen in Offenburg, in der Schweiz und in Kanada ausgebildet.

Karin Coch ist eine von ihnen. Sie bietet fortlaufende und Wochenendkurse, Treffs und Einzelstunden in Hamburg an. „Ich habe immer so Verspannungen und Rü-ckenschmerzen“, sagt eine Kursteilnehmerin. Und: „Ich merke gleich, wenn ich mal ein paar Wochen nicht komme.“ Ganz leise und langsam bewegt sich jeder, wie er will, ertastet, was er mag, kommt vom Liegen ins Sitzen, verlässt die Decke und krabbelt ein bisschen durch den Raum, erfühlt seine Umwelt. Und dann spendiert Karin Coch ein Beutelchen mit Kirschkernen. Es ist warm, weil es auf der Heizung gelegen hat, und jeder darf entscheiden, wo Coch es hinlegen soll. Einer wünscht es sich auf das rechte Schulterblatt, eine auf den Rücken, eine andere auf den linken Fuß. Sich zu bewegen, ohne den Beutel zu verlieren, ist nicht leicht. Und hinterher soll jeder erzählen, wie sich die Stelle anfühlt, auf der das Säckchen gelegen hat.

Wahrscheinlich sieht es kurios aus, wie drei erwachsene Menschen sich durch den Raum einer Feldenkrais-Praxis in Eimsbüttel robben und schlängeln. Aber wenn man das mal einen Moment vergessen kann, ist sie wirklich ganz entspannend, diese Methode. Auch wenn es vermutlich ein bisschen mehr Übung braucht, das zu beschreiben, was die anderen Teilnehmer erzählen: Dass der betastete Fuß sich anders anfühlt, dass es irgendwo wärmer ist als anderswo. Dabei geht es immer wieder um die Bodenhaftung. Sich darauf zu konzentrieren, dass ein Fuß auf dem Boden steht, und wie er sich dabei anfühlt, beispielsweise.

Jeder Körper hat zu jeder Zeit eine gewisse Spannung. Während des Schlafes sind die Muskeln entspannter als beim Sport. „Wir arbeiten daran, diese Spannung wahrzunehmen, um sie ausgleichen zu können“, sagt Karin Coch. Denn viele Verspannungen seien auf falsche Körperspannung zurückzuführen. „Jemand mit Depressionen hat beispielsweise eine zu niedrige Spannung.“ Zu viel ist auch nicht gut. Wer seine Spannung beeinflussen kann, soll auch seine Kraft besser dosieren können.

Das Liegen, Aufrichten, Krabbeln und erste Schritte machen lasse uns die Bewegungsentwicklung eines Kindes nachempfinden. Und wer bewusst empfindet, weiß, was gut tut. „Und wenn ich weiß, was mir gut tut, weiß ich auch, was anderen gut tut.“

Zu Karin Coch kommen Menschen, die sich Gutes tun wollen, Fehlhaltungen und Verspannungen vorbeugen wollen, Haut- oder psychosomatische Krankheiten haben oder sich irgendwie unwohl fühlen. Wer Lust auf eine Probestunde am 26. Januar in Eimsbüttel hat, kann sich unter Tel.: 641 89 09 anmelden.

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