„I am not a madman“

■ Werner Herzogs liebster Feind und andere deutschsprachige Filme auf dem „Berlin and Beyond“-Festival in San Francisco

„We speak your language.“ In den Kinos der Landmark-Gruppe, dem größten lokalen Kinobetreiber in San Francisco, behauptet ein Trailer vor jedem Film, dass die Sprache des Films universell sei – und San Francisco der richtige Ort, das herauszufinden. Tatsächlich ist das Filmangebot in der Stadt und der Region von großzügiger Vielfalt. Programmkinos, Filmarchive, Kulturinstitute und Festivals versorgen den Cineasten mit einem ausgewogenen internationalen Speiseplan, der wenig zu wünschen übrig lässt. Neben dem breiten Interesse für Film als Kunstform ist es auch der Lebensstil, für den San Francisco nicht nur weltweit berühmt, sondern auch von seinen Bewohnern innigst geliebt ist, der die stetige Nachfrage nach einem breiten Angebot hervorbringt. Was immer von weither kommt und mit dem Versprechen serviert wird, eine seltene Delikatesse zu sein, wird mit Freuden goutiert. Für ihre eher bescheidene Größe ist die Stadt erstaunlich vielsprachig, ein fröhliches Babylon, dessen Harmonie sowohl von der hügeligen Topografie als auch dem eitel gepflegten Laisser-faire begünstigt wird.

„Ethnic diversity“, ethnische Vielfalt gehört vor allem für den weißen Bevölkerungsteil zum guten Ton, nach dem der Alltag orchestriert wird. Der deutschsprachige Film als eine weitere Nuance im multiethnischen Vielfaltsbrei? Ethnisch klingt nicht schön, besagt die Miene von Ingrid Eggers, die seit 1996 das Festival des neuen deutschsprachigen Films für das Goethe-Institut San Francisco kuratiert. Den Deutschen fällt es bei „ethnisch“ für gewöhnlich schwer, sich etwas Gutes zu denken. Vor allem aber die stets mitbehauptete Authentizität macht den Begriff zu einem Klotz am Bein, gilt sie doch dann als besonders echt, wenn sie das Stereotyp bedient. „Zu viele Amerikaner denken bei Deutschland immer noch an Oktoberfest.“

Daher heißt es jetzt: „Wir wollten eine Berlin-Identifikation.“ „Berlin and Beyond“ also ein passender Titel für das Festival, weil er Deutschland nicht von Bayern aus aufrollt und weil „Berlin“ an Vielfalt, Kunst und Toleranz denken lässt? So in etwa. Und natürlich ließe sich der gesamte Rest nicht mit einer so hübschen Alliteration einfangen. Irgendwo in München war man über den Titel gar nicht glücklich – kein Witz. Beschweren können hätte man sich allerdings viel eher in Wien, Zürich, Graz oder Bern. Denn neben München, Bochum, Ludwigsburg müssen es sich auch der österreichische und schweizerische Film unterm Dach des „Beyond“ – also im „Jenseits“ – gemütlich machen. Wenn's gut läuft, sind es aber wohl doch die Filme, deren Bilder die Assoziationen freigeben, nicht der Name des Festivals.

Ein solcher Ort fördert Crossover-Effekte

Dieses Jahr waren es 17 Spielfilme, fünf Dokumentarfilme und ein Kurzfilmprogramm aus den Jahren 98 und 99, die dem geneigten Publikum in San Franciscos schönstem Filmkunsthaus präsentiert wurden: Das Castro Theater war von Anfang an die Spielstätte des Festivals, und kaum ist man drin, versteht man auch, weshalb das so bleiben wird. Ein klassisches Filmtheater, dessen Räume Geschichte ebenso selbstverständlich atmen wie Popcornduft. Das Herzstück des Kino-Saals ist eine monumentale Orgel, deren Klänge dem Zuschauer schon vor der Vorführung dazu gratulieren, am richtigen Ort zur richtigen Zeit zu sein. Movietime ist Showtime, und die aus Deutschland angereisten Gäste sehen es mit Freuden.

Ein solcher Ort fördert Crossover-Effekte ebenso wie das Laufpublikum. Das Castro liegt in San Franciscos gleichnamigem Viertel, in dem allabendlich Heterosexualität und Monogamie ein fröhlicher Abgesang gesungen wird. Kein Wunder also, und dennoch schön zu sehen, wie etwa während des Eröffnungsfilms „Aimée & Jaguar“ das Coming-out der Lili Wust heiter beklatscht wird, ohne damit der Feinabstimung des Films unrecht zu tun. Denn tatsächlich zeigt die Geschichte von Aimée und Jaguar ja beides: die doppelte Brandmarkung der lesbischen Jüdin unter dem faschistischen Blick, aber auch die lesbische Liebe als Befreiungsschlag in ebendiese Fratze. Auch Andreas Dresens „Nachtgestalten“ tut die gute Laune gut, versucht er doch ebenso sehr Komödie des Lebens zu sein wie nachdenkliche Randbemerkung zum „neuen Berlin“. Wenn hier alles ganz Berlin ist, so ist etwa Volker Koepps Dokumentation über „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ ganz „beyond“. Von hier aus gesehen öffnen sich Volker Koepps Bilder wie ein Spiegelkabinett, in dem die Geschichte und ihre Paradoxien tatsächlich an den Punkt getrieben werden, wo der Film sie eigentlich schon hatte.

Herzogs liebenswert bayerisches Englisch

Das Bonbon des Festivals, geheimnisvoll als Sneak Preview verpackt, war Werner Herzogs eigenwillige Hommage an seinen liebsten Feind Klaus Kinski. Die Verstörung, für die allein schon Kinskis Präsenz sorgt, wird freilich vor diesem Publikum durch Herzogs Kommentar konterkariert: Auf Deutsch gesprochen scheint er die Bilder zu unterstützen bei dem Versuch, Kinski einen Sinn zu geben – doch Herzogs Selbstsynchronisation in liebenswert bayerischem Englisch steht dieser Solidarität nun allerdings im Wege. Für dieses Publikum gesprochen wird der Text zum Fremdkörper, Herzogs Erläuterungen skurril und er selbst auf eine ebenso faszinierende Weise fraglich, wie Kinski es schon ist. „I am not a madman.“ Das Publikum quittiert es einmal mehr mit Heiterkeit und hat auch darin Recht. Ein netter Effekt, den man so daheim nicht hätte.

Es sei nicht verschwiegen, dass man sich von der Terminierung des Festivals zeitgleich mit der jährlichen Tagung der International Film Financing Conference (IFFCON) und kurz vor dem bedeutenden Sundance Festival Synergieeffekte erhofft. Letztlich weiß man aber auch beim Goethe-Institut, dass die Filmeinkäufer anderswo shoppen gehen. Für die Finanzierung des Festivals legen deutsche Filmförderung, deutsche Konzerne und lokale Sponsoren zusammen. Ohne ein aufgeschlossenes zahlendes Publikum wäre es dennoch nicht möglich. Das scheint das rechte Maß zu weisen. Es ist einfach angenehm angemessen, den deutschen Film in einem Rahmen der Vielfalt am Rande des Überflusses präsentiert zu sehen. Wen's interessiert, geht hin. Wer wegbleibt hat andere Prioritäten und damit wohl genauso Recht. Insofern ist San Francisco mit seinem unaufgeregten Interesse an allem ihm noch nicht Bekannten ein sehr geeigneter Ort, den deutschen Film im rechten Licht erscheinen zu lassen. Als eine Bemühung unter vielen, die mal Großes, mal Mäßiges hervorbringt und die am besten gedeiht, wenn sie mit dieser Mischung aus Wohlwollen und Lässigkeit angegangen wird. Tobias Hering