: Farbiges Vakuum
Teilnahmslose, junge Mädchen, die einer zeitlosen Erstarrung anheim gefallenscheinen: Das Folkwang Museum in Essen zeigt Fotos der Britin Sarah Jones
In den Bildern von Sarah Jones wird nicht gelacht. Doch je genauer man sie betrachtet, desto deutlicher klingt aus ihnen das Gelächter der Künstlerin heraus. Die Fotos der 1959 geborenen Britin, deren erste deutsche Einzelausstellung nun in der Reihe „Zeitgenössische Fotografie“ im Folkwang Museum, Essen, zu sehen ist, arbeiten akribisch genau und auch durchaus spöttisch an der Enttäuschung von Erwartungen. Alle Zeichen werden ihrer Funktionalität beraubt: So entstehen Bilder von einer paradoxen Präsenz.
Da ist die mehrteilige Bildinszenierung „Francis Place/Mulberry Lodge“ von 1997. Sie versammelt die Insignien des bürgerlichen Traums, der Tradition und sittliche Schönheit im eigenen Haus verbinden will. Die Interieurs werden von teilnahmslosen, jungen Mädchen an der Schwelle zum Erwachsenwerden bevölkert. Sie sind in starren, unnatürlichen Posen in den Raum plaziert, ohne jedoch zur Umgebung, zu sich selbst oder zu einer anderen Person, geschweige denn zum Betrachter eine Beziehung herzustellen zu scheinen. Sie sind einer Erstarrung anheim gefallen, die sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft weist.
Umgeben von Ahnenbildern, Kaminen aus Marmor und einer wuchtigen, blankpolierten Edelholzeinrichtung scheint Lebendigkeit unmöglich. Ein Möbel wie etwa der Esstisch in der „Dining Room“-Serie, an dem eigentlich das gesellige Familienleben stattfinden soll, gerät hier zur Barriere, ebenso wie die ausladende Porzellanschüssel, die genau in der Mitte des Tisches aufgestellt ist. Symmetrie, leuchtende Farben und glänzende Oberflächen: Jones zeigt – mit deutlicher Anlehnung an die klassische Malerei – Universalien westlicher Schönheitsvorstellungen, denen auch die abgebildeten Mädchen entsprechen. Doch sie inszeniert die Werte der bürgerlichen Kultur als Staffage; auch in dem Moment, in dem sie die Häuser verlässt und die Gärten zeigt, meist von schweren Mauern umschlossen wie in „The Vegetable Garden“. Die nun barfüßigen Mädchen sind auch hier ohne Bezug, ohne Ausdruck.
Die Gleichsetzung von äußerer und innerer Schönheit ist seit der Antike ein künstlerischer Modus Operandi – doch bei Jones läuft er ins Leere, obwohl die Gleichung an der Oberfläche aufzugehen scheint. Am symbolträchtigsten ist dabei eine Arbeit, die in der Essener Ausstellung nicht gezeigt wird: „The May Tree“. Eines der Mädchen steht in einem gründlich kultivierten Garten. Sie senkt ihren Kopf resigniert zu Boden, die Augen geschlossen. Neben ihr steht, gestutzt bis auf den Stamm, der Rest eines Baums. Eine Mauer, die den Garten begrenzt, gibt ein Stück Himmel frei.
Jones gelingt in dieser Inszenierung eine allegorische Verdichtung mit paradoxem Ergebnis. Die Hoffnung auf Initiation, die gesellschaftlich akzeptierter und sanktionierter Bestandteil dieser Lebensphase ist, wird hier nicht erfüllt. Während die Fotos der Amerikanerin Tina Barney, die jüngst an gleicher Stelle zu sehen waren, Bilderzählungen auf der Grundlage der Biografie schaffen, deren Qualität bei aller inszenatorischen Künstlichkeit doch im Moment des „So ist es gewesen“ liegt, fehlt dieser Zusammenhang bei Jones. Mehr noch, die anderthalb Meter im Quadrat messenden Tableaus weisen sich in jedem Augenblick als fiktive Inszenierungen aus. Die starren, künstlichen Posen der Mädchen verweigern sich der Einbettung in eine Erzählung.
Dagegen scheinen die Serien „Consulting Room“ von 1995 und „Consulting Room (Couch)“ von 1997 Fragmente oder zumindest Spuren einer authentischen Erzählung zu versprechen. Wieder lädt das lebensgroße Format dazu ein, der Fährte zu folgen: Eine abgenutzte Couch, angestoßene Stühle, eine schlecht abgewischte Schiefertafel – der Betrachter wird zum Zeugen des Tatortes. In der sterilen Atmosphäre der Räume, die nur ausschnitthaft wiedergegeben sind, verraten lediglich die Gebrauchsspuren etwas über die vielen möglichen Geschichten, die sich hier vielleicht ereignet haben. Oder eben nicht.
Trotz ihrer Superpräsenz in Größe, Schärfe und der deutlichen Ausleuchtung der Bildinhalte, ihrer farblichen Intensität und Eindringlichkeit entziehen die Arbeiten von Sarah Jones sich in dem Moment, in dem sie betrachtet werden – und erzählen von der paradoxen Präsenz jeden Bildes im Vakuum der Realität.
Magdalena Kröner
Sarah Jones: Farbfotografien. Folkwang Museum, Essen, bis 27. 2., Katalog 35 Mark
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