Vorwahlkampf im Zentrum des Nichts

Heute beginnt im US-Bundesstaat Iowa die erste Runde im Kampf um die Präsidentschaft. Wichtig ist das eigentlich nicht, wohl aber ein Ereignis mit ritueller Bedeutung für die internationale Presse und ein verratztes Stück Erde ■ Von Peter Tautfest

Washington (taz) – Als Zentrum des Nirgendwo beschreibt Robert Waller in seinem tränenschweren Roman „Die Brücken von Madison County“ den Bundesstaat Iowa. In Iowa tragen Orte Namen wie Des Moines, Council Bluffs, Cedar Falls, Davenport, Ames und Grinnell, und das Beste, was sich von ihnen sagen lässt, ist, dass man da nicht mehr als eine Tagesreise von Chicago entfernt ist.

Normalerweise macht Iowa nur durch Überschwemmungen des Mississippi von sich reden und durch Nachrichten darüber, dass Farmer vom allgemeinen Wirtschaftsboom links liegen gelassen werden. Alle vier Jahre aber kommt die Weltpresse in diesen verlassenen Winkel der USA. Es gilt, vom Iowa Caucus zu berichten, einem jener seltsamen Rituale, in dem US-Amerikaner ihre politische Führung auswählen. Der Iowa Caucus ist weder wichtig noch interessant, aber er ist die erste Runde im Vorwahlkampf, bei dem es um die Auswahl der Kandidaten für das Amt des Präsidenten geht – also muss berichtet werden.

Anders als die Vorwahlen, bei denen sich die Kandidaten den registrierten Wählern ihrer Partei in geheimer Wahl stellen, ist der Caucus eine Bürgerversammlung mit dem Flair direkter Demokratie. Heute Abend also werden sich die Getreuen der Republikanischen und der Demokratischen Partei in Kneipen und Gemeindezentren, Feuerwehrballsälen und Kirchen, in Turn- und Stadthallen versammeln. Sie werden Reden hören, applaudieren, in Sprechchöre einstimmen und sich schließlich durch Handheben für einen Kandidaten entscheiden.

Das Besondere ist die Unmittelbarkeit des Wahlkampfs. 10 Prozent der Wähler hatten den einen oder andern Kandidaten als Gast bei sich zu Hause.

Seit Jimmy Carter 1976 durch einen Achtungserfolg in Iowa aus der Versenkung ins nationale Rampenlicht trat, gilt der Iowa Caucus als Stimmungsbarometer – als sehr ungenauer allerdings, denn bisher waren Erfolge in Iowa eher ein Garant für Misserfolge auf nationaler Ebene.

Iowa aber ist nicht nur das Zentrum des Nirgendwo, sondern auch die Mitte dessen, was in den USA als „Herzland“ gilt, womit der landwirtschaftlich geprägte Mittlere Westen gemeint ist.

Dabei sieht die Realität des Farmers heute ernüchternd aus: 1975 erbrachte ein Scheffel (50 Liter) Mais noch 2,40 Dollar, heute nur noch 1,40 Dollar. Der Traktor aber, der 1975 noch 18.000 Dollar kostete, kostet heute 75.000 Dollar. Kein Wunder, dass Iowa ein gigantisches Farmsterben erlebte und dass heute hauptsächlich Agroindustrie und fabrikmäßig betriebene Schweinemast das Landschaftsbild prägen.

Die Kandidaten stört das nicht. Sie beschwören in Iowa die Tugenden des freien Farmers und tun so, als würden sie den Familienbetrieb neu erfinden wollen. Einer der Streitpunkte dabei ist Ethanol – ein aus Mais hergestellter Treibstoff. Der lässt sich ohne Subventionen nicht kostendeckend und konkurrenzfähig herstellen – ganz davon abgesehen, dass in die Produktion von Ethanol mehr Energie eingeht, als der Treibstoff wieder hergibt. Seit Einführung des Ethanolprogramms nach der Ölkrise 1973 sind 7,1 Milliarden US-Dollar Subventionen in Form von Steuererleichterungen für Ethanolbenzin gezahlt worden. Von denen profitieren natürlich nicht in erster Linie die Farmer, sondern Food-Gigant Arthur Daniel Midland (ADM), der das Zeug herstellt. ADM gehört zu den größten Spendern beider Parteien.

Politiker, die sich sonst gern als Subventionskiller präsentieren, singen in Iowa das hohe Lied auf Ethanol, und selbst Bill Bradley, der als Senator aus New Jersey noch gegen die Ethanol-Subvention gestimmt hatte, entdeckt in Iowa sein Herz für Farmer – und Ethanol. Nur John McCain, Senator aus Arizona, der republikanischer Präsidentschaftskandidat werden will, sagt, was Sache ist: Ethanol ist ökonomischer Wahnsinn und hilft letztlich auch den Farmern nicht. McCain aber tritt in Iowa gar nicht an.

Zwar glaubt man heute schon zu wissen, dass nach den großen Parteitagen im Sommer Al Gore gegen George W. Bush antreten wird, entschieden aber wird diese Auswahl in einer Serie von Vorwahlen, deren wichtigste im März in den bevölkerungsreichsten Staaten Texas, Kalifornien, Florida und New York stattfinden. Auf republikanischer Seite bewerben sich gleich sechs Politiker darum, Bannerträger der Partei zu werden – da vier von ihnen spätestens nach den März-Primaries, wahrscheinlich aber schon morgen früh völlig bedeutungslos sein werden, soll mit deren Namen das Gedächtnis der Leser erst gar nicht belastet werden –, auf demokratischer Seite ist die Lage übersichtlicher, da treten Vizepräsident Al Gore und der ehemalige Senator Bill Bradley an.

Das Besondere an der diesjährigen Ausscheidung ist, dass das Augenmerk – eigentlich sogar die Gunst des Publikums – nicht auf den Favoriten, sondern auf den Herausforderern liegt. Gore und Bush werden schließlich das Duell ums Weiße Haus miteinander ausfechten, Bradley und McCain aber wären die Traumkandidaten. Sie treten nämlich mit dem Anspruch auf, Wähler nicht zu umwerben, sondern ihnen die Wahrheit zu sagen.

Um seine Position – und seinen Mangel an Charme – zu erklären, erzählt Bradley gerne die Geschichte von der übellaunigen Kellnerin, die nach mehrfacher Aufforderung durch einen Gast, doch mal etwas Freundliches zu sagen, schließlich stehen bleibt und antwortet: „Wenn ich Sie wäre, würde ich nicht essen, was ich Ihnen gerade aufgetischt habe.“

Bradley hat sich ganz auf Iowa konzentriert und ist dort bisher auf 63 Veranstaltungen aufgetreten, während Rivale Gore seine Zeit einigermaßen gleichgewichtig zwischen New Hampshire und Iowa aufgeteilt hat. McCain, der in Iowa erst gar nicht antritt, hat alle Kraft auf New Hampshire geworfen und führt dort in den Meinungsumfragen sogar vor Bush.

Neue Umfrageergebnisse aber zeigen, dass die Herausforderer McCain und Bradley letztlich gegen die Favoriten chancenlos sind. Selbst bei gutem Abschneiden in New Hampshire kann McCain die Distanz zu Bush nicht aufholen. Und Bradley werden selbst in Iowa wenig Chancen eingeräumt – eher schon in New Hampshire. Meinungsumfragen sagen auch voraus, dass bei der Endausscheidung Bush vor Gore und Bradley gewinnen würde – wenn auch mit geringerem Abstand vor Letzterem.