Im T-Shirt Don Giovanni klöppeln

■ Stefan Rapp ist Percussionist / Die Entscheidung für sein Instrument ist gleichzeitig eine Entscheidung für eine vagabundierende Lebensweise – und für Absurditäten wie einen Beckenschlag in einem ganzen Konzert

Was die taz unter den Tageszeitungen darstellt, ist die Bremer Kammerphilharmonie unter den Orchestern: klein, genial, bettelarm und für die Mitarbeiter mehr als nur ein Arbeitsplatz. Eher schon eine bestimmte Daseinsform. Und die schmeckt im Fall Kammerphilharmonie sowohl nach Freiheit als auch nach viel Arbeit – crazy eben wie das Leben. Einer dieser schwer schuftenden Weltreisenden in Sachen Musik ist Stefan Rapp.

Hiesige Musikfreunde kennen ihn mindestens vom Sehen: Wenn irgendwo in der Stadt modernes Zeugs wie Xenakis oder Penderecki gespielt wird, stehen die Chancen nicht schlecht, dass es seine spitzen Cowboyschuhe sind, die unter Pauken oder Marimbaphon hervorgucken. Stefan Rapps Schuhwerk ist zweifelsfrei das schönste in Bremen. Und sein Paukenwirbel ist einer der perlendsten, butterweichsten, radikalsten – je nachdem – in der Republik. Das erkannte auch Claudio Abbado messerscharf bei einer Mucke von Stefan Rapp in Salzburg 1993 (genauer gesagt: Er paukte dort bei der Eröffnung der Festspiele) und nahm ihn fürderhin in den Kader seines Gustav-Mahler-Jugendorchester Wien auf, später dann in das Mahler Chamber Orchester. Letzteres trifft sich alljährlich zweimal im wunderschönen Ferrara zum Proben, Konzertieren, Genießen (Kollege Zotta aus Italien behauptet, dass bei toscanischen Städten die Wörter ,genießen' und ,wunderschön' absolut unverzichtbar sind).

Als Musiker hat man nur eine Chance in Würde zu überleben: Man wird ganz einfach Superstar. Dummerweise kennt das Schlagzeug (noch) keine Superstars, die Stadthallen füllen. Das schaffen nicht mal Cracks wie Peter Sadlo, das Straßburg Percussion Ensemble oder Rapps innig geliebter Lehrer, der Freiburger Prof Bernhard Wulff. Ein Percussionist muss sich also entscheiden zwischen Bankangestelltentum in einem Staatsorchester oder Dasein als Trapezkünstler ohne Netz. Rapp wurde Letzteres. Teils entschied er sich, teils wurde er entschieden. Das ging so: Eine Bewerbung bei einem Staatsorchester in den neuen Ländern scheiterte an Pferdeschwanz und Schuhwerk. Dass ihn die Berliner Philharmoniker nicht mal zum Probespiel einluden, juckte ihn etwas später schon weniger. Als Abbado ihm dann einen Vorspieltermin bei den Berlinern verschaffen wollte, winkte er ab. Mittlerweile nämlich ist er überzeugter Dauerreisender mit diversen Standbeinen in weit verstreut liegenden Ensembles und Lehrauftrag an der Bremer Hochschule für Künste. „Zwei Wochen lang an ein- und demselben Ort könnte ich nicht mehr ertragen.“ Nur ein einziger, winzigkleiner Traum hält sich noch zäh und wacker in einem versteckten Hirnlappen. Der heißt: New York. „Müssen ja nicht unbedingt gleich die New Yorker Philharmoniker sein.“ Tourleben in Amiland muss aber auch nicht sein: „Das bedeutet nämlich fünf Stunden fliegen, essen, aufbauen, spielen, abbauen, hundemüdesein und dann das Ganze wieder von vorn ... und von vorn ... und von vorn.“ Am eigenen Leib erfahren konnte er diese Tourtortur letzten Mai mit der Kammerphilharmonie.

Mittlerweile fühlt sich Rapp also wohl in der perfekt organisierten Zerfleddertheit seiner Existenz. „Es mag sich vielleicht pathetisch anhören: Aber so ein Leben ist für einen Musiker näher an der Wahrheit.“ Das ist wohl auch das Geheimnis der Kammerphilharmonie. „Ich liebe diese Musikauffassung meiner Kollegen.“ Zum festen Jahresprogramm von Stefan Rapp zählen neben Kammerphilharmonie und Ferrara (dem wunderschönen) mittlerweile auch Aix en Provence. Das heißt: Zum Beispiel „Don Giovanni“ klöppeln im T-Shirt unterm Sternenzelt mitten hinein in das Vogelgezwitscher rundum. Und letztes Jahr war er auch in Heimbach mit dabei. Dort spielen eine Woche lang die Spitzenkräfte der deutschen Kammermusik in wechselnden Ensembles in der skurrilen Kulisse eines Kraftwerks vor einem begeisterungswilligen, ausgehungerten Landpublikum. „Tolle Atmosphäre“. Damit er wirklich nicht den Hauch einer Chance zu Langeweile, Routine, Stillstand hat, spielt Rapp auch gelegentlich E-Bass in einer Rockband, versucht sich gerade am Komponieren einer Oper namens „Krabat“, die alle Grenzen zwischen U und E sprengt. Ach ja, hin und wieder malt Rapp gerne. Und dann die Anekdötchen, die man später mal den Enkeln erzählen kann: Von Leonard Bernstein, der abends besoffen mit den hinterletzten Witzen brillierte und am nächsten Tag einfach groß dirigierte; oder vom Pianisten Tzimon Barto, der auf Tourneen zwischen Bodybuildingstudios und Konzertsälen hin- und herstrampelt.

Nun zur Frage aller Fragen: Warum wird einer ausgerechnet Percussionist? Ausprobiert hat Rapp alles: Klavier seit frühen Kindertagen, Horn, Saxophon ... Am Schlagzeug reizten ihn gerade die Defizite. „Für uns gibt es keinen Bach oder Brahms“, dafür aber einen Stockhausen, Xenakis, Lachenmann. Allzu viel interessante Solostücke stehen nicht zur Wahl, dafür ist das Ineinandergehen der unterschiedlichen Rhythmen und Menschen umso aufregender. „Percussionisten haben so ihre Gemeinsamkeiten. Konkurrenzdenken hält sich bei ihnen in Grenzen, sie haben eine heimliche Neigung zur Ironie, vor allem aber lieben sie die Zusammenarbeit mit anderen.“ Und die funktioniert auch jenseits von Sprache und kulturellen Grenzen. „Mit welchem Instrument könntest du schon nach Afrika oder Asien gehen und dich mit wildfremden Musikern spontan zusammentun.“ Und damit auch seine Studenten das Zuhören und Zusammenwirken lernen, baut Stefan Rapp an der HfK ein Percussion-Ensemble auf, das kürzlich in seinem zweiten Konzert unter dem Titel „John Cage & Friends“ Blumentöpfe, Zeitungspapier, Sofas und die eigene Hose zum Klingen brachte; was Stefan Rapps Theorie von der Ironie der Trommler bestätigt.

Manchmal birgt das Percussionistendasein eine gewisse Absurdität in sich. „Zum Beispiel, wenn du weite Strecken anreist, nur um bei einer bestimmten Brucknersinfonie einen einzigen Beckenschlag zu fabrizieren. Tiefe Gestaltungsbedürfnisse werden in diesem Fall nicht gerade befriedigt.“ Festste-cken in frustrierender Dauerroutine wie der Kontrabassist aus dem Ein-Personen-Stück von Patrick Süßkind wird Rapp aber gewiss nieniemals. bk

Wer in Rapps Ensemble mitspielen will und in Sachen Alter und Niveau dazupasst, kann ihn kontaktieren unter Tel.:  50 74 86.

Das nächste Konzert der Kammerphilharmonie: „Millenniumsklänge“, heute um 20 Uhr in der Glocke.