Die Lust der Maschinen

Der Mensch als Versuchskaninchen: Mit „Rewind to the Future“ zeigt der Neue Berliner Kunstverein Videokunst aus den Neunzigern

Warum nur sehen kleine Jungs in Anzug und Krawatte so monstermäßig aus? Im englischen Video „2 into 1“ von Gillian Wearing sitzen uns Zwillinge in der Haltung von Experten einer Talkshow gegenüber. Sie reden über ihre Mom, zumindest haben sie über sie geredet; Wearing hat ihre Sätze der Mutter in den Mund gelegt und lässt einen umgekehrt die Söhne mit deren Stimme hören. Die Vertauschung steigert die Identifikation zwischen Eltern und Kindern ins Unheimliche. Je mehr sie über ihre Beziehung erzählen, desto gruseliger wird es.

Wearings Video versetzt den Betrachter in eine Situation irgendwo zwischen dem Intimitäts-terror im Fernsehen und einer therapeutischen Sitzung. So kommentiert sie den Einbruch des Mediums in die Sphäre des Privaten, das nicht bloß ausgebeutet, sondern fernsehgerecht strukturiert wird: Verhalte dich jederzeit so, dass du morgen dem Reporter was erzählen kannst. Medienkritik war immer ein Thema unter den Videokünstlern. Aber während anfangs oft die Steuerung der medialen Wahrnehmung im Mittelpunkt stand, ist inzwischen ihre realitätsformende Macht zur Angriffsfläche der Kunst geworden. Mit zwei Ausstellungen und einem gemeinsamem Katalog blicken nun der Kunstverein Bonn und der Neue Berliner Kunstverein auf dreißig Jahre Videokunst zurück.

Die Bonner Schau zeigt mit 27 Installationen einen historischen Querschnitt mit Arbeiten von Paik, Viola, Campus und von Bruch, die teilweise schon in Berlin zu sehen waren. Der kleinere Teil in Berlin beschränkt sich auf Arbeiten der Neunzigerjahre. Die Geschichte ist hier auf einen Monitor verbannt, der aus der Video-sammlung des NBK eine Auswahl von 90 Arbeiten anbietet.

Die Ungreifbarkeit des Beobachters verunsichert und ängstigt in den Filmsequenzen von Jordan Crandall aus den USA und Felix Stephan Huber aus der Schweiz. Bei Huber wird eine junge Frau zwischen zwei Kameras, die im Gebüsch verborgen sind, über eine Lichtung gejagt. Crandalls „Drive 3“ ist wie ein Thriller gebaut, mit plötzlichen Schnitten auf das Auge einer Telefonierenden und Wiederholungen, die das Normale ins Obsessive kippen lassen. Plötzlich sehen wir den Raum durch eine Infrarot-Überwachungskamera und werden Zeuge sexueller Übergriffe. Es gibt nur noch Objekte der Beobachtung, keine Subjekte mehr.

Setzt man sich dann Kopfhörer auf und hört Marko Peljhans Komposition aus Signalen aus dem Äther, glaubt man sich in einer Science-Fiction-Welt versetzt, in der wir bloße Projektionen elektronischer Superhirne sind. Dabei verfolgt der slowenische Kommunikationsforscher Peljhan eine andere Intention: Als ein Instrument der Gegenöffentlichkeit versteht er seine spezielle Abhörstation „Makrolab“, die Daten zu Ökosystemen und Migrationsbewegungen sammelt. Zwar gibt es spezifische Inhalte der Medienkunst, doch weder ihre Praxis noch ihre Ästhetik ist einheitlich. Das Video „Yvonne“ von Rosemarie Trockel belegt das Ineinandergreifen von haptischen und flachen Medien. Es beginnt mit Fotos von Babystrick, danach folgen Mützen, Socken und Pulloverträger. Man ahnt das verbindende Muster in der Wolle, die Rosemarie Trockel in Malerei und Skulptur eingeführt hat.

Die Aneinanderreihung selbst erscheint am Ende als loses Gewebe und das Videoband ähnelt einem Wollfaden. Der Malerei am nächsten kommt ausgerechnet eine Arbeit von Douglas Gordon, der fast ausschließlich Filmbilder benutzt. Sein „Film Noir (Hand)“ ist ganz flackernde, zerkratzte Leinwand. Nur schwer erkennt man eine unruhige Hand, die an einem Tuch zupft. Die Fragilität des Materials erhöht den Aspekt von Hinfälligkeit.

In ihrem Beharren auf dem Moment der Schwäche erinnert die Projektion an die Bilder, die Ferdinand Hodler 1915 von seiner Freundin auf dem Sterbebett malte. Katrin Bettina Müller

Bis 20. 2., NBK, Chausseestr. 128/29, Mitte, Di - Fr 12 - 18 Uhr, Sa/So 12 - 16 Uhr