Krank durch Kunststoffe im Auto

Über 50 gesundheitsschädliche Substanzen konnten in der Innenraumluft von Autos nachgewiesen werden. Selbst nach intensiver Belüftung ist die Giftkonzentration zu hoch

Schleimhautreizungen, Augenbeschwerden, Kopfschmerzen und allergische Reaktionen – zahlreiche AutofahrerInnen klagen über Gesundheitsstörungen. An kaum einem anderen Ort ballen sich so viele Giftstoffe auf so engem Raum wie im Wageninneren und nirgendwo sonst verstärken schlechte Lüftungsmöglichkeiten und ungeschützte Hitzeeinwirkung in den wärmeren Monaten die gefährliche Gemengelage dermaßen.

Der Kieler Toxikologe Hermann Kruse untersuchte die Innenraumluft von Pkws und veröffentlichte seine Ergebnisse in der Zeitschrift Arzt und Umwelt. Mehr als 50 Schadstoffe konnte der Forscher nachweisen: Die Palette reicht von Acetaldehyd, Aceton und Benzol über Phenol und Styrol bis hin zu o-Xylol. Geschlossene, unbelüftete Autoinnenräume können sich zu regelrechten Giftbrutstätten entwickeln.

Kruse maß bei einem längere Zeit abgestellten Pkw einen Schadstoffgehalt von 2–3 mg pro Kubikmeter Luft. Er lag damit um 1 mg über der von UmweltmedizinerInnen gerade noch als verträglich eingestuften Konzentration von 1–2 mg. Zwar sanken die Werte nach intensiver Belüftung ab. Sie blieben aber immer noch alarmierend hoch.

Grund zur Freude hat die chemische Industrie. Fünf Milliarden Mark setzt allein das Unternehmen Bayer pro Jahr mit Zulieferungen für die Autobranche um. „Von der Türverkleidung aus Bayblend über die Mittelkonsole aus Novodur bis hin zum Kühlwasserkasten aus Durethan sind Rohstoffe aus dem Geschäftsbereich Kunststoffe im ganzen Auto vertreten“, jubiliert ein Bericht über den neuen VW-Beetle. Die Kassenschlager des Konzerns im Automobilgeschäft, die Kunststoffe ABS (Acrylnitril-Butadien-Styrol-Copolymere) und der Polyurethan-Schaum PUR, stellen dabei laut Kruse die Hauptbelastungsquellen dar.

Diese Materialien haben es in sich: Sie enthalten Weichmacher, Trennmittel, Flammschutzmittel, Versiegelungsaufträge, Stabilisatoren und Lösemittel. Aus Armaturenbrettern, Hutablagen, Türverkleidungen, Sitzen und Fußbodenbelägen können leicht flüchtige Substanzen ausgasen, die direkt auf das Nervenzentrum wirken und die vielfältigsten Beschwerden verursachen. Treffen diese Verbindungen auf Kohlenmonoxid und Stickoxide, die durch die Benzinverbrennung entstehen und die auch ins Wageninnere gelangen, so stellen sich Kombinationswirkungen ein. Die Gesundheitsgefahren potenzieren sich.

Eine weitere Belastung erwächst durch das so genannte Fogging. Bei dieser physikalischen Reaktion kondensieren die leicht flüchtigen Bestandteile der PUR-Schäume zu Tröpfchen, die sich auf der Windschutzscheibe absetzen. Erwärmen Sonnenstrahlen Frontscheibe und Innenraum – im Sommer kann die Temperatur im Auto bis zu 90 Grad erreichen – so wird das Schadstoffgemisch regelrecht „hochgekocht“. Nur intensiver Luftaustausch ermöglicht eine Reduzierung dieser Giftfracht.

Mit simplem Öffnen der Fenster und Türen ist es jedoch nicht getan. Auch Gebläse mit Pollenfiltern richten nicht viel aus; solche mit Partikelfilter bewirken dagegen schon mehr. Aber noch nicht einmal Hightech, wie der für Schlote von Industrieanlagen entwickelte Aktivkohlefilter, absorbiert alle Kohlenstoff- und Stickstoffverbindungen, er schluckt lediglich Benzole, Xylole und Toluol. Zudem sind nur Klimaanlagen von Luxuswagen mit dieser Vorrichtung ausgestattet.

Der Bayer-Konzern als weltgrößter Kunststoffhersteller sieht sich durch diese alarmierenden Befunde nicht zum Handeln aufgefordert. Im Gegenteil: Seine „Branchen-Kommission Auto“ setzt weiter auf Expansion. Dem vor zehn Jahren verkündeten Ziel, den 80 kg betragenden Kunststoffanteil in europäischen Autos auf den bei US-Wagen erreichten Wert von 200 kg anzuheben, ist der Chemie-Multi schon einen großen Schritt näher gekommen. Er sieht sich „mit innovativen Produkten auf der Überholspur. Jan Pehrke