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Kapitalismus à la Spielcarte

Der ganz normale Freizeitwahn: Catan besiedeln!

„Spielend lernen“ war ein hehres Anliegen der sozialdemokratisierenden Seventies-Pädagogik, das konservative Drillbefürworter gerne gesträubten Haares der Teilschuld an Woodstock, RAF, Punk und überhaupt allem verdächtigten. Mengenlehre hin, TV-Maus her – so falsch ist die Sache nicht, wie man feststellt, wenn man sich nach hartem Kriechgang durch Robert Kurz’ unverzichtbares „Schwarzbuch Kapitalismus“ bei einem fröhlichen Spieleabend zu entspannen gedenkt.

Seit jeher erfreut sich in antikapitalistischen WGs und Familien ausgerechnet das infame „Monopoly“ einer besonderen Beliebtheit. Nun hat es einen Nachfolger gefunden, der gewissermaßen die inhaltliche Vorstufe und ein besonders schönes Beispiel für spielendes Lernen darstellt: Klaus Teubers zum Spiel des Jahres ernanntes Würfelspiel „Die Siedler von Catan“, dessen Erfolg entsprechend überwältigend ist und sich in der pilzartigen Produktion sündteurer „Ergänzungen“ und „Erweiterungen“ niederschlägt.

Was ist zu tun? Eine idyllische Insel muss „besiedelt“, das heißt: in einen „Standort“ verwandelt werden. Zu diesem Zweck erwerben die Spieler gegen Rohstoffe wie Schafe, Holz, Steine und Lehm Siedlungen, Städte und Straßen. Klingt simpel, ist aber – zumal in der Kombination mit mehreren „Erweiterungen“ – höchst kompliziert: Als besonders ehrenvoll gilt es, die längste Straße zu bauen; gefährlich wird es, wenn die Piraten kommen und nicht genügend Privatpolizei bereit steht; weitere Inseln wollen erobert, Märkte errichtet und zur günstigen Bereicherung eingesetzt werden; Gold kommt ins Spiel; die Kumpanei mit einem Räuber berechtigt zum Rohstoffdiebstahl, und schließlich gilt es bei dem ganzen unüberblickbaren Gemarktwirtschafte noch, die anderen Spieler beim Tauschhandel wirksam übers Ohr zu hauen.

Irgendwann ist alles zugepflastert, einer im Besitz von zehn Siegpunkten und das Endziel erreicht, womit der ganze Zirkus wenig erheiternd endet. Das heißt: Nun könnte man eigentlich nahtlos zu „Monopoly“ übergehen, den bislang anonymen Verkehrswegen Namen geben und ihre Benutzung mit maßlos überhöhten Preisen belegen, bis sich die Vermögensverhältnisse endlich bundesrepublikanischen Verhältnissen annähern und der Sieger mit einem zufriedenen „Hahaha“ die Zigarre zückt und das Aufgabeangebot der Unterprivilegierten annimmt.

So lässt sich in wenigen (allerdings zähen) Stunden erlernen, was man sonst in tagelangem Studium vielen hundert Seiten „Schwarzbuch Kapitalismus“ entnehmen musste: Sinn und Zweck menschlichen Daseins ist es nach dem Credo der Produktivität, die Welt in einen Geldautomaten zu verwandeln. Dass am Ende einer alles und die anderen nichts haben, entspricht Freiheit und Menschenrecht: Schaffen kann es schließlich jeder, die Chancen sind absolut gleich; und wer am Ende das (noch nicht als „Erweiterung“ erhältliche) Sozialamt aufsuchen muss, der hat eben Pech gehabt, sich nicht genug Mühe gegeben, oder er war zu blöd.

Und immerhin beantworten „Monopoly“ und „Die Siedler von Catan“ endlich die letzte große Frage, die der „echte“ Kapitalismus sowohl in der katechistischen Schulung seiner BWL-Mönche als auch in der gebetsmühlenhaften „Wachstums“-Beschwörung vor Wahlen gerne vermeidet: Was passiert eigentlich am Ende, wenn die ganze Welt und die Natur verwirtschaftet, industrialisiert, ausgebeutet und alle vorhandenen Werte akkumuliert sind? Ganz einfach: Nichts mehr. Man faltet den Spielplan zusammen und verstaut ihn zusammen mit Hütchen, Kegeln, Kärtchen und Würfeln im Schrank. Wie dieser finale Vorgang in der Welt der real existierenden Marktwirtschaft aussehen wird? Vielleicht weiß Klaus Teuber eine Antwort. Michael Sailer

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