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Alle Wege führen nach RomRadical-Chic

Das „Rialto“ ist Roms jüngstes Centro sociale und ein neuer hipper Szenetreff

Die Band spielt Acid-Jazz, hunderte von Gästen drängen sich auf der großen Freiterrasse im Herzen Roms. Das Publikum ist bunt gemischt: Der eingefleischte Jazzfan in Jacke und Krawatte steht neben dem Jugendlichen mit Rastafrisur und zerrissener Jeans. Glatt könnte man das „Rialto“ für den neuesten Szenetreff des römischen Radical-Chic halten, für ein Projekt leicht versnobter Luxuslinker, die ein Gebäude als ihren Sitz auserkoren haben, das jedem Luxushotel Ehre machen würde – wären da nicht die Spuren des jahrelangen Leerstands. Und wären da nicht die Dauergäste: zwanzig Leute, die den obersten Stock des Baus bewohnen, die ihn in Roms jüngstes Centro sociale, in ein besetztes autonomes Zentrum, verwandelt haben.

Über mangelnden Andrang braucht sich das Rialto nicht zu beklagen, dafür sorgen schon die kleinen Preise: Konzerte oder Theater gibt's für 5.000 Lire, und wer nichts hat, kommt auch gratis rein; die Teilnahme an einem Seminarzyklus kostet 30.000 Lire. So billig die Veranstaltungen sind, so mühelos ist das Rialto zu finden. Über dem Palazzo an der Via Nazionale, nur einen Steinwurf von der Residenz des Staatspräsidenten, vom Sitz der Banca d'Italia und vom Polizeipräsidium, weht weithin sichtbar die rote Fahne mit dem Che. Kaum war die Fahne vor einem Jahr aufgezogen, bekamen die Besetzer natürlich die Räumungsaufforderung von der Stadtverwaltung. Mittlerweile aber verhandelt die Stadtspitze, nicht zuletzt unter dem Eindruck von Appellen des Filmregisseurs Ettore Scola oder des Manifesto-Journalisten Valentino Parlato.

Auch im Rathaus weiß man, dass der seit zehn Jahren leer stehende Prachtbau im Kommunalbesitz mit seinen großartigen Deckenfresken ohne die Besetzung schlicht weiter verfallen wäre. Heute dagegen hat hier die Libur ihren Sitz, die „Freie Universität Rom“, aufgezogen von den Jugendlichen aus der Bewegung der „Invisibili“, der „Unsichtbaren“. Unsichtbare, Arbeitslose und Leute in prekären Jobs, die in ihren weißen Overalls mit spektakulären Aktionen, mit Besetzungen eines Krankenhauses, des Arbeitsministeriums, des Flughafens für Sichtbarkeit sorgen; die jetzt neben ihren Seminaren im Rialto eine Rechtsberatung für Arbeitslose, prekär und schwarz Beschäftigte aufgezogen haben; und die nicht zuletzt Kultur auch für die zugänglich machen, die sich den offiziellen Betrieb mit seinen gesalzenen Preisen nicht leisten können.

„Wir haben hier einen kleinen Sieg errungen“, sagt das blonde Mädchen, das lieber namenlos bleiben möchte, „uns ist's gelungen, den Leuten Sachen zuzumuten, die sie normalerweise in einem Centro sociale nicht erwarten. Zum Beispiel gab's hier einen Opernabend. Wir waren drauf gefasst, dass alles in einem Pfeifkonzert untergehen würde, aber stattdessen war hier eine tolle Atmosphäre. Mittlerweile rufen bei uns auch berühmte Künstler an, die gern hier auftreten wollen und unsre wirklich bescheidene Standardgage akzeptieren.“

Mit seinem manchmal etwas bizarren Mix von Kulturen steht das Rialto unter den mittlerweile 120 Centri sociali Italiens absolut nicht allein. Gewiss, in einigen der Zentren hängen Jugendliche vor dem Fernseher ab, doch, angefangen vom „historischen“ Mailänder Leoncavallo, haben sich die meisten in lebhafte Kulturfabriken verwandelt, die Produktionen der Underground-Kultur aus ganz Europa zeigen, die wie das Link in Bologna oder das Bulk in Mailand (dem jetzt das Aus durch Abriss droht) zur Heimat von Theatergruppen und Tanzensembles wurden oder in denen mittlerweile landesweit berühmte Bands entstanden sind: Die Assalti frontal fanden etwa im Forte Prenestino zueinander, einem schon 1986 in Rom besetzten riesigen Fort, das zu einem kleinen Alternativimperium mit Sporthallen, Theatern und Aufnahmestudios geworden ist. So erfolgreich sind die Centri sociali manchmal, dass sie ganze Stadtviertel verändern; im Schatten des römischen Villaggio globale öffneten dutzende Musiklokale, wurde das Testaccio, die Gegend um den alten Schlachthof, zum Zentrum des römischen Nachtlebens.

Um seinen Bestand muss das Villaggio globale trotz der heftigen Konkurrenz nicht fürchten: Nur hier gibt's weiterhin Livemusik für 5 Mark, und nur hier können von auswärts Angereiste in einem der Gästezimmer für schlappe 15 Mark übernachten. Marina Collaci

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