Startschuss fürden Schuldenerlass

Bolivien legt bei der Weltbank seinen Plan zur Armutsbekämpfung vor – behaftet mit schweren Mängeln ■ Von Katharina Koufen

„Das ist jetzt eine ganz spannende Frage: Wachstum und Armutsbekämpfung – geht das überhaupt zusammen?“

Berlin (taz) – Als der Internationale Währungsfonds (IWF) seine neue Kreditlinie „Armutsbekämpfung und Wachstums-Fazilität“ nannte, spitzten viele seiner Kritiker und Gegner erstaunt die Ohren. Denn bislang war der Geldfluss aus Washington an Kriterien gebunden, die die Armut in den Schuldnerstaaten eher noch verstärkten: Die verordneten Sparprogramme und Haushaltskürzungen führten zu steigenden Preisen, sinkenden Löhnen, höherer Arbeitslosigkeit. Doch der Währungsfonds ging von der Annahme aus, wenn Wirtschaft und Währung erst einmal stabilisiert sind, sickert dieser Erfolg auch bis zu den Ärmsten durch. „Das ist jetzt eine ganz spannende Frage: Wachstum und Armutsbekämpfung – geht das überhaupt zusammen?“, sagt Schuldenexperte Walter Eberlei vom Duisburger Institut für Frieden und Entwicklung.

Der Kredit mit dem schönen Namen entstand im Zuge des Schuldenerlasses für Entwicklungsländer, der beim Kölner Gipfel im Juni 1999 beschlossenen wurde. Heute nun soll die gut gemeinte Prosa erstmals in härtere Formen gegossen werden: Bolivien stellt in Washington dem Weltbank-Direktorium einen im Land ausgearbeiteten vorläufigen Armutsbekämpfungsplan vor. Das ist ein Novum: Bislang wurden die wirtschaftspolitischen Strategien unter der strengen Regie der Finanzinstitutionen erarbeitet, „diktiert“, wie Kritiker sagen.

Der bolivianische Plan gilt als Bedingung für den Schuldenerlass des Landes, das heißt für Tilgungsraten und Zinsen, die Bolivien an seine Gläubiger zahlen muss. Bei der Bundesregierung sind es immerhin rund 600 Millionen Mark Schulden.

Wenn der Plan abgesegnet wird, was als sicher gilt, folgt im Juni der so genannte Completion Point: Das Land kann seine Rückzahlungen an die Einzelstaaten der G 7 aussetzen. Gleichzeitig erhält es Geld aus einem eigens geschaffenen Fonds zur Kompensierung der multilateralen Schulden bei den Entwicklungsbanken und dem Währungsfonds. Bis Juni soll die Regierung den Plan mit Verbänden, Gewerkschaften und den Kirchen diskutieren.

Rund 70 Milliarden Mark Schulden haben die Entwicklungsländer bei Ländern und Banken. Bis 2001 sollen für die 36 hoch verschuldeten Länder „50 Milliarden Dollar umgesetzt sein“, sagte Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul am Dienstag in Berlin. Der Schuldenstand dieser Länder soll dann unter 150 Prozent ihrer Exporteinnahmen liegen.

Die bolivianische Regierung will die Bekämpfung der Armut in ihren Vier-Säulen-Plan einbetten, den Präsident Hugo Banzer bei seinem Amtsantritt 1997 entworfen hat. Zwei der Säulen heißen „Chance“ und „Gleichheit“. Dahinter verbergen sich laut Plan Wirtschaftswachstum, Verbesserung des Erziehungs- und Gesundheitssystems, bessere Wohnungen, flächendeckender Anschluss an Wasser- und Stromversorgung, Förderung der Produktivität auf dem Land. Die beiden anderen Säulen, „Würde“ und „institutionelle Reformen“ stehen für „transparente Beziehungen zwischen Regierung und Zivilgesellschaft“ und Korruptionsbekämpfung. Und für den Vorsatz, „Bolivien ein für alle Mal vom Kokainanbau zu befreien“ – ohne dass allerdings eine Alternative für die Kokabauern genannt würde. Prosaisch gelungen – aber auch nicht mehr.

„Dieser Plan müsste viel konkreter formuliert werden“, kritisiert Eberlei. Es fehlen Indikatoren, um die Fortschritte Boliviens bei der Armutsbekämpfung zu messen. „In den Strategien, die früher mit Hilfe des IWF entworfen wurden, wurde viel deutlicher aufgezählt, für welchen Posten wie viel Geld zur Verfügung gestellt werden soll.“ Die Ministerin sagte, Bildung, Gesundheit und Armut könnten messbar gemacht werden, wenn die weltweit festgelegten Entwicklungskriterien angewandt würden: Das Verhältnis „Grundschullehrer pro Kinder“ etwa oder „Ärzte pro Einwohner“.

Wie die Vorschläge umgesetzt werden, bleibt spannend: Bolivien wird den vor fünfzehn Jahren begonnenen restriktiven wirtschaftspolitischen Kurs fortsetzen. Preisstabilität wird weiterhin an oberster Stelle stehen – derzeit liegt die Inflationsrate wenig über vier Prozent. Die Sozialausgaben sollen trotzdem steigen – darin sieht die Regierung keinen Widerspruch zu ihrem Konsolidierungskurs. Eine Steuerreform soll helfen, die Einnahmen zu erhöhen. Öffentliche Gelder werden laut Plan effizient und zielgerichtet ausgegeben werden. Diese „Fokussierung auf die Ärmsten“ ist seit den 80er-Jahren Bestandteil der lateinamerikanischen neoliberalen Entwicklungsstrategie – trotzdem sind in Bolivien zwei Drittel der Bevölkerung arm. Für Wiezcorek-Zeul signalisiert die Armutsbekämpfungs- und Wachstumsfaziliät dennoch einen echten Kurswechsel: „Es ist jetzt nicht mehr so, dass der IWF die Wunden aufreißt und die Weltbank dann die Pflaster drauf klebt.“