Für Herz und Geldbeutel

■ Das Museum in Groningen entdeckt den niederländischen Maler Jozef Israäls, einen Realisten des 19. Jahrhunderts, wieder

Die Welt – ein Trauerspiel. Kinder verhungern, die Natur verreckt, Drecksäcke regieren, Massaker fast überall. Ist schon schlimm. Aber na und, juckt es uns? Juckt es uns wirklich?

Was der Welt heute fehlt, ist das Gefühl. Jenes emphatische Sentiment, stärker als jeder Zynismus, das im Angesicht des Elends das Herz anschwellen lässt, die Hände in Fäuste verwandelt, die Augen weitet. Und Tränen erlaubt. Eben jene Leidenschaft, die das zerbrechliche Dasein mit starrstem Starrsinn verteidigt, den Verstand schärft. Und voller Pathos von besseren Welten träumen lässt, genauso rührselig, wie es klingt.

Wer in diesen Tagen über die deutsch-niederländische Grenze ins nahe gelegene Groningen fährt, findet im dortigen Museum geradezu einen Meister des Sentiments ausgestellt. Jozef Israäls heißt jener leidenschaftliche Mensch, der auf Selbstporträts wirkt wie der gemütliche Rauschebart-Opa von nebenan, der immer ein paar Bonbons für die Kinder aus der Nachbarschaft in der Tasche hat. Die erste Retrospektive seines etwas in Vergessenheit geratenen Gesamtwerkes ist nun im Groninger Museum zu sehen. Groningen kooperiert hierbei mit dem Jüdischen Historischen Museum in Amsterdam, wo zeitgleich die Bilder Israäls gezeigt werden, die sich mit dem Judentum beschäftigen.

Eigentlich sollte Israäls, 1824 in Groningen als Sohn des Börsenmaklers Abraham Israäls und seiner Frau Matilda geboren, Rabbiner werden. Doch schon früh entschied er sich für die Malerei, besuchte die Königliche Akademie in Amsterdam, wo er von den Historienmalern Jan Willem Pienemann und dem Bildhauer Louis Royer ausgebildet wurde. Nach einem längeren Aufenthalt in Paris, dem Zentrum für moderne Kunst des 19. Jahrhunderts, kehrte Israäls im Sommer 1847 nach Amsterdam zurück. Eine Zeit lang hielt er sich mit der Historienmalerei – gemäß der akademischen Normen jener Zeit das Genre mit der größten künstlerischen Reputation – über Wasser. Doch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fand er schließlich zu jenem Stil, der ihm die Anerkennung seiner Zeitgenossen sicherte: dem so genannten Fischergenre.

Man wird Mühe haben, auf Israäls Bildern auch nur einen Menschen zu finden, der nicht den Eindruck vermittelt, das Leben sei mindestens zum Kotzen. Gelacht wird nicht. Statt dessen dominiert an jeder Ecke der meisterhaft komponierten und gemalten Milieustudien des harten Fischerlebens an den holländischen Küsten die abgrundtief schlechte Laune. Von permanenter Entbehrung gezeichnet, von Schicksalsschlägen aller Art gebeutelt, trotzen die Männer, Frauen und Kinder mit leeren Gesichtern dem rauhen Wetter und dem nicht minder rauhen Leben. Das alles ist zumeist großformatig in den entsprechenden düsteren Farben gezeichnet und lässt den Betrachter keinen Augenblick in die Illusion flüchten, dass so ein Fischerleben an Hollands Stränden doch ein erquicklich Ding gewesen sein könnte. In den kärglichst eingerichteten, dunklen Wohnungen kriecht die Armut aus jeder Ecke hervor, und hinter jedem vor Kummer erloschenen Blick lauert eine Tragödie von grenzenlosem Ausmaß. Nicht nur nehmen Israäls Bilder in ihrem realistischen, sozial engagierten Gestus und Duktus die dokumentarische Fotografie des 20. Jahrhunderts vorweg. Sie zeigen den 1911 verstorbenen Künstler zudem als Virtuosen der Gefühlsmalerei, dessen Bilder in ihrer ausgeklügelten Komposition eine Atmosphäre der Beklemmung und des Mitleids erzeugen, die unweigerlich mittenmang ins Herz trifft. Unberührt verlässt nur ein Klotz das Museum.

Doch o weh. Liest man genauer, was Jozef Israäls eigentlich dazu bewegt hat, sich dem Fischergenre zu widmen, werden Zweifel wach. Die Historienschinken, mit denen er nach seiner Rückkehr aus Paris zu reüssieren suchte, verkauften sich einfach nicht. Also versuchte er sich ebenfalls erfolglos als Nippesmaler mit grässlich kitschigen Bibelmotiven, ehe er diese spezielle Form der Sozialstudien für sich entdeckte. Das lief dann wie geschmiert, weil sich offenbar genug BildungsbürgerInnen mit schlechtem Gewisssen fanden, die auf Leinwand gebannt das sehen wollten, was sich eh täglich vor ihren Augen abspielte.

Die derart zur Projektionsfläche des Weltelends gemachten Fischer wiederum protestierten gegen die Bilder, weil sie sich falsch dargestellt fühlten. Zu Recht, wie Ausstellungsmacherin Dieuwertje Dekkers feststellt, musste sich Israäls daher von einem Kritiker vorwerfen lassen, dass die Anfang der 1890er gemalten Zandvoorter Fischerfrauen kerngesund und nicht so abgehärmt seien, wie Israäls sie in seinen Bildern darstellte.

Ein reines Herzchen war Jozef Israäls also nicht. Na und. Wen juckt das schon. Wer etwa sein Bild des trauernden Mannes vor dem Bett seiner so eben verstorbenen Frau betrachtet und in sich nicht mehr verspürt als die Frage, ob die Zimmereinrichtung denn tatsächlich realistisch dargestellt ist, der fragt auch zuerst nach einer Spendenquittung, wenn ihn ein Hungernder um ein Almosen anfleht. Dieses Bild kann niemand gemalt haben, der nicht wenigstens einen Funken Gefühl im Herzen hatte. Der Blick aufs Portemonnaie sei also verziehen. Diese Israäls-Schau ist eine hohe Schule des Sentiments. Wat fürs Herz sozusagen. Franco Zotta

Bis zum 5. März im Museum Groningen