Ein Leben gegen den Schmerz

Letizia Battaglia hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit Fotografien und politischem Engagement für ein lebenswerteres Sizilien einzutreten. Ein Porträt ■ Von Werner Raith

Wer nur ihr Bild zu sehen bekommt oder sie zu Beginn einer der zahlreichen Talkshows, durch die sie derzeit gereicht wird, vor sich hat, kommt kaum auf den Gedanken, hier eine der interessantesten, wichtigsten, mittlerweile auch vom Erfolg verwöhnten Frauen Italiens vor sich zu haben: eine eher rustikale Erscheinung mit kräftiger Statur, Händen, denen man Arbeit ansieht und in denen die nahezu ständig gequalmte Zigarette fast verschwindet, einem stets freundlichen Gesicht und aufmerksamen Augen, die vor dem Reden immer erst einmal ein wenig in die Ferne wandern, sich dann aber absolut dem Gesprächspartner zuwenden. Das einzige Zeichen einer gewissen Mondänität sind die rot gefärbten Haare – vielleicht auch die meist kaftanähnliche Kleidung.

Letizia Battaglia hat nahezu alle großen internationalen Preise abgeräumt – sie ist Fotografin, und was sie in ihren Bildern, nahezu alle schwarzweiß, festhält, kann man in etwa ansehen als die „Schattenseite“ jenes Landes, in dem die Zitronen blühen. Sie hat das Elend einer der schönsten Städte Italiens festgehalten, Palermos: halbnackte Kinder in den Slums; Viertel, die im täglichen Müll und dem von der Bauspekulation hinterlassenen Schutt ersticken; Frauen, die verzweifelt vor den Leichen ihrer von der Mafia erschossenen Männer hocken; Bilder von Hochzeiten, denen bereits von Anfang an der Geruch von Trauer und Verderben anhaftet und die trotzdem von einem geradezu unglaublichem Lebenshunger zeugen.

Eigentlich hatte ihr niemand an der Wiege gesungen, dass sie gerade mit dieser Tätigkeit nicht nur berühmt werden, sondern ein ansehnliches Stück sozialer Arbeit und Politik vorantreiben würde. 1935 geboren, in einem der vornehmeren Viertel der Stadt als Kind einigermaßen betuchter Kaufleute, wurde sie früh verheiratet: „Mit siebzehn hatte ich das Leben getauscht – von dem einen behüteten Nest ins andere, zu meinem Mann.“

Sie konnte es nicht ertragen; nach drei Kindern und einem vergeblichen Kampf um zumindest ein wenig Selbständigkeit war ihre Ehe gescheitert. Mit dreißig begann sie ein neues Leben, als Fotografin. Sie ging nach Mailand, vier Jahre, erlernte das Handwerk, kehrte nach Palermo zurück, begann – was noch niemand gewagt hatte – den Verfall der inzwischen total in mafiose Hände geratenen Hauptstadt Siziliens mit der Kamera zu dokumentieren.

Doch dann holte sie die grauenhafte Realität dieser Stadt ein: Ihre jüngste Tochter wurde heroinsüchtig. Wie eine Löwin hat sie drei Jahre um sie gekämpft, dann war sie wieder weg von der Nadel. Aber in diesen Jahren hat sie gelernt, „dass man hier alleine überhaupt nichts ausrichten kann“. Sie begründete mit anderen Frauen „die Vereinigung sizialianischer Frauen gegen die Mafia“, wurde Archivarin und Dokumentaristin, gründete einen Frauenverlag – den ersten in ganz Süditalien – mit dem Namen „La Luna“, rückte dann Mitte der 80er-Jahre sogar in den Stadtrat ein, wurde „Dezernentin für die Lebbarkeit der Stadt“, ein Ressort, das sie unter dem antimafiosen Bürgermeister Leoluca Orlando eigens für sich erfunden hatte.

Und so wird, wer heute nach Palermo kommt, so manches nicht mehr finden, was Letizia Battaglia in ihren Zeitungsbeiträgen und Büchern dokumentiert hat – sie selbst hat dafür gesorgt, dass in den besonders heruntergekommenen Vierteln am Hafen – in der „Kalsa“ oder im Spekulationsviertel Zen II – Bäume gepflanzt und gehegt, Kinderspielplätze angelegt, Treffpunkte für Alte eingerichtet wurden. Anfang der 90er verabschiedete sie sich dann langsam wieder aus der Politik, begann erneut zu dokumentieren. Doch noch immer gilt sie in Palermo als eine Art „Pasionara“ der Stadt. Wo immer sie sich auf der Straße oder den Plätzen zeigt, laufen die Menschen auf sie zu, tragen ihre Wünsche vor, weisen auf neue Missstände hin, die auch unter ihrem einstigen Mentor Leoluca Orlando langsam wieder auftreten. Und sie sucht stets zu helfen, soviel sie kann. Büro und Wohnung hat sie zwar in einem der einigermaßen sanierten Viertel. Aber „zu Hause“ sagt sie, „bin ich halt dort, wo das Elend wohnt“. Und fotografiert weiter.