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Feuerquallen am Feuerberg

Stromboli, die feurigste der Liparischen Inseln, serviert ein gelungenes Menü aus Spannung und Entspannung: Der Berg raucht und rauscht, und im Meer brennen die Beine

Ein mehr oder weniger sanftes Kitzeln am Möglichkeitsnerv:„Er könnte prinzipiell ..., er wird doch nicht ..., ich wette, er wird!“

Um sieben Uhr abends, als der westliche Horizont von der untergegangenen Sonne ganz vergoldet und mit weit entfernten Schiffen gesprenkelt war, der Vollmond hoch oben dahinsegelte, das Meer dunkelblau zu unseren Füßen lag und eine seltsame Art Dämmerung herrschte, die von all diesen verschiedenen Lichtern und Farben um uns her durchdrungen war, erblickten wir den herrlichen Stromboli.“ So schwärmt Mark Twain in seinen Reiseerinnerungen „Die Arglosen im Ausland“. Und tatsächlich lohnt es, das erste Rendezvous mit dem feurigen Süditaliener auf jene Stunden zu legen, wo der Tag die Nacht küsst oder umgekehrt.

Als wir mit der Fähre von Neapel kommend einen ersten Blick auf den schwarz umfluteten Berg erhaschen, löst sich gerade die schläfrige Sonne aus dem Meer, um den Mond in den Feierabend zu schicken. Doch heller, schöner, fremder als die Himmelslichter leuchtet die flache Spitze der Insel, über der ein roter Dunstschleier weht. Darunter schlägt das ewig brennende Herz des Stromboli, der schon den Seefahrern der Antike als Orientierungshilfe diente. Heute ist der „Leuchtturm des Mittelmeers“ der letzte ständig aktive Vulkan Europas und zieht neben internationalen Vulkanologen auch ein buntes Urlaubervölkchen an seine schwarzromantischen Hänge: Mehr Rucksacktouristen als Neckermann-Lookalikes, mehr Italiener als Nordeuropäer, ziemlich viel Jugend und Halbjugend zwischen Edelmüsli und Handy-Junkie.

Ein Berg, der im Schnitt alle zwei Minuten Feuer speit, lockt nicht jeden; und die Anreise per Aliscafo (Schnellboot) oder Traghetto (Autofähre) ist nicht eben kurz, schon gar nicht günstig und fällt bei schlechtem Wetter auch mal flach. Hier ist Reisen noch Reisen: Selbst wer bis Neapel oder Catania den Flieger genommen hat – spätestens ab dort will das Durchqueren des Raums mit viel Zeit, Geduld und Schwielen ersessen und erschleppt werden. Hier im Mezzogiorno ticken die Uhren langsamer und in ihrer eigenen Zeit, und gottlob hat Stromboli all das, was daran positiv ist: eine ordentliche Prise Dolce Vita und außer dem obligatorischen Zivilisationsmüll an Ufer und Hang wenig, worüber man sich ärgern müsste. Nur die Preise sind ganz und gar von hier und heute.

Die Liparischen Inseln, allen voran die nur 3,4 Quadratkilometer kleine Panarea, sind ein teures Pflaster. Wer hier aussteigen will – auf Stromboli scheinen es vor allem Schweizer zu sein –, muss es sich leisten können. Zwei Wochen im Leben aber kann man die Preise schlucken, sich zurücklehnen und die gelungene Komposition aus schwarzem Sand, tiefblauem, glasklarem Meer, engen Gässchen, Bougainvilleen, Kapernsträuchern und malerisch abblätterndem Putz genießen. Hier ist sogar der Lärm idyllisch, der auf der autofreien Insel nur von Ape-Dreirädern, die als Taxi und halbmoderne Lastesel dienen, von den unnachahmlichen „Pesce fresco“-Rufen des fahrenden Fischverkäufers oder vom Vulkan selbst herrührt: Denn gelegentlich geht seiner typisch „strombolianischen Aktivität“ ein metallisches Rasseln oder leises Fauchen voraus, das beim Neuankömmling wohlige kleine Schauer und je nach Temperament ein mehr oder weniger sanftes Kitzeln am Möglichkeitsnerv hervorruft: „Er könnte prinzipiell ..., er wird doch nicht ..., ich wette, er wird!“

Als Stromboli-Besucher wohnt man behaglich und fast unsichtbar unter den etwa 400 Stromboliani an der Nordostküste, wo der Berg flach zum Meer abfällt und sich zwischen Scari und Piscita der einzige wirkliche Ort der Insel erstreckt. Hinter Piscita wagen gerade in den Sommermonaten Heerscharen von Abenteuerlustigen den Aufstieg zum fast 1.000 Meter hohen Gipfel, gelockt von der Aussicht, nach vier Stunden Staub und Geröll dem ruhelosen Schönen in den glühenden Rachen zu sehen. Das ist – vertraut man sich einem der beiden autorisierten Bergführer an – relativ gefahrlos möglich. Wir haben dennoch darauf verzichtet und uns von der alten Marinestation Punta Labronzo aus die Sparversion des feurigen Schauspiels angesehen. Immerhin gibt es dort Pizza zur Aussicht auf das grell sprühende Feuerwerk. Und unbezahlbares Bier. Während sich „der fleißigste Vulkan der Erde“ seines heißen Ballasts über die Sciara del Fuoco, die nordwestlich gelegene „Feuerrutsche“, entledigt, ist vom Ort aus nur eine dräuende Wolke zu sehen. Das ist zwar wenig sensationell, hat sich jedoch beim letzten großen Ausbruch am 11. September 1930 bewährt. Das näher an den speienden „Bocche“ liegende 30-Seelen-Dorf Ginostra wurde bei dieser Eruption fast vollkommen zerstört; die Bewohner wurden von dem Leichnam gerettet, den sie gerade auf dem ausbruchssicheren Friedhof bestatteten.

Ein Paroxysmus in dieser Stärke, der sechs Tote forderte, das Meer zum Kochen brachte und eine meterhohe Flutwelle nach sich zog, ist bei einem so regen Vulkan wenig wahrscheinlich, wenn auch prinzipiell jederzeit möglich. So ist auf Stromboli die G.N.V., die Gruppo Nazionale per la Vulcanologica, mit Seismographen, Neigungsmessern, Kameras und geochemischen Stichproben ständig auf der Jagd nach verdächtigen Anzeichen.

Den Vulkan kümmert das wenig. Etwa zweimal jährlich legt er ohne Vorwarnung los, und diesmal scheint er besonders viel vorzuhaben. Nachdem er schon vor unserer Ankunft die Feuerglocken läuten ließ und die Hänge des Berges entvölkerte, löst sich wenige Tage nach unserer Anreise erneut gewaltiger Donner aus den Eingeweiden des Berges. Ich denke an die „Titanic“ – Glück und Schönheit schützt vor Katastrophen nicht –, wir vergessen unseren Kaffee und sehen nur noch die rote Fontäne, die gesättigt mit harten, brennenden Geschossen gen Himmel schießt, gefolgt von einem Pilz und schwarzem Hagel aus Asche. Und während sich das Feuer ganz langsam den Hang hinunterfrisst, sieht man zum ersten und einzigen Mal in 14 Tagen auf den Gassen einen Menschen rennen.

Irgendwie, denken wir später weise, stand schon am Morgen alles auf Ausnahme. Die Insel war in drückende Schwüle gehüllt und die geplante Giro dell’Isola musste wegen Sciroccowarnung ausfallen. Ein Scirocco kam nicht, dafür quoll das Meer von Feuerquallen über, und gegen Mittag drang ein finsteres Grollen aus den schwarz aufgetürmten Wolken, gefolgt vom Plattern des Regens auf den inseltypischen Schilfdächern. Das, wird sich der Schmiedegott Hephaistos gedacht haben, der der Sage nach im Stromboli seinen Zweitwohnsitz hat, kann ich besser: Und wie als späte Antwort auf seinen Windbruder Aeolus erwidert er Grollen mit Grollen und Prasseln mit Prasseln.

Dies wiederum lässt sich der zweite Namensgeber der „Äolischen Inseln“ nicht bieten. Bis zum frühen Morgen beschenkt er sie daher mit dem prächtigsten Gewitter der Welt: So laut wie die Stimme des Stromboli, mit Blitzen, die über den ganzen Himmel wachsen und die Pfützen in den unbeleuchteten Gassen für Momente in glitzernde Klarheit tauchen. Das ist so eindringlich unwirklich, dass sich der Blick auf die Welt mit einem Ruck verschiebt.

Beim Abschied dann zeigt sich der Berg wieder von seiner sanften Seite, oder – in Twains Worten: „Seine Fackel war verloschen, seine Brände schwelten; die Rauchsäule, die von ihm aufstieg und sich im heller werdenden Morgenlicht verlor, war das einzige Zeichen, wodurch er erkennen ließ, er sei ein lebender Beherrscher des Meeres und nicht der Geist eines Toten.“ Wer einmal eine Kostprobe seiner Kraft genossen hat, wird daran in Zukunft sicher nicht mehr zweifeln. Sabine LeuchtReiseinfo:Flüge nach Catania (über Rom) oder Neapel (über Mailand) mit der Alitalia, die Lufthansa bietet auf einigen Strecken auch Direktflüge an. Bustransfer von Catania nach Milazzo nur im Sommer, danach wird es komplizierter. Dasselbe gilt für Tragflügelboote (ab Neapel 4, ab Milazzo 2 bis 3 Stunden) und Autofähren (ab Neapel 8, ab Milazzo 7 Stunden), die zwischen Oktober und Mai deutlich seltener verkehren. (Direktbuchung der Autofähren in Deutschland möglich: Tel. 069-6668491.) Ab Oktober sind die meisten Restaurants auf der Insel geschlossen, die Inseldisco sogar schon ab September.

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