Strom und Wärme aus Holz

■ Siemens baut größtes Biomassekraftwerk Europas. Biomasse ist zur Energieerzeugung bereits heute industriell nutzbar. In Zukunft werden dezentrale Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung verstärkt zur Anwendung kommen

Der Standort ist optimal: 40 Kilometer nordöstlich von Eindhoven, am Ortsrand der Gemeinde Cuijk, direkt neben einer großen Holzfabrik, wird eifrig gebaut. Kesselhaus, Silos, Turbinen- und Generatorhalle sind von weitem zu sehen. Auf knapp zwei Hektar wurde unter der Regie des Siemens-Ingenieurs Rob Veltrup das erste Biomassekraftwerk der Niederlande an einem Seitenkanal der Maas aus dem Boden gestampft – das größte in Europa. Der Siemens-Konzern liefert die Dampfturbine, Generator und die elektronische Steuerung. Der Kessel für die Wirbelschichtverbrennung ist eine Spezialanfertigung des finnischen Unternehmens Kvaerner. „Mit der energetischen Verwertung von Restholz kennen die sich bestens aus“, meint Veltrup und erzählt von den Finnen, die bei der Verstromung von Biomasse unter den Industrieländern an erster Stelle stehen. Die finnische Industrie deckt fast die Hälfte ihres Strom- und Wärmebedarfs auf der Basis von Holz, im Regelfall mit Anlagen in Kraft-Wärme-Kopplung.

Das Kraftwerk in Cuijk soll „Groenen Stroom“ liefern und zwar in der Grundlast, also rund um die Uhr. Ein Expertenteam des regionalen Energieversorgers Provinciale Noordbrabantse Energie-Maatschappij (PNEM) hat eng mit den Siemens-Ingenieuren zusammengearbeitet, gemeinsam wurde das Konzept für das Biomasseprojekt ausgetüftelt.

Für das Industriegebiet Cuijk sprachen mehrere wichtige Aspekte, erzählt Veltrup beim Rundgang auf dem Gelände: die gute Anbindung an die Autobahn A 73 und die Nähe zur Maas. Schließlich werden nach dem offiziellen Startschuss am 29. September rund 250.000 Tonnen Holzhackschnitzel pro Jahr verwertet, sprich verstromt.

In der ersten Zeit wird das Brennmaterial noch mit Lastwagen im Umkreis von 150 Kilometern gesammelt, vorsortiert und nach Cuijk transportiert. In einer zweiten Betriebsphase soll der Nachschub mit Binnenschiffen über die Maas erfolgen. „Ab 2001 rechnen wir damit“, sagt Veltrup. Den Rohstoff liefern Forstbehörden, Holz verarbeitende Fabriken, und selbst Hollands Spediteure werden ihren Beitrag leisten – Einwegpaletten, die bisher teuer entsorgt werden mussten, sollen in Cuijk in Kilowatt umgewandelt werden.

Veltrup zerrt an einer Absperrung, macht den Weg frei ins Innere der 22 Meter hohen Betonsilos. Rund 10.000 Kubikmeter fassen sie, in der Mitte am Boden ist eine riesige Stahlspirale im Betonfundament verankert. „Auch eine finnische Spezialanfertigung“, klärt uns der Siemens-Mitarbeiter auf. Über Förderbänder gelangt das Brennmaterial in die Silos, die konisch zulaufende Spirale dreht sich während des Betriebes und zieht so das Holz Kubikmeter für Kubikmeter in einen Schacht. Von dort wird es dann über ein Förderband in den Brennkessel transportiert. „Der Vorrat in den Silos reicht für zwei Tage“, meint Veltrup.

Über eine Metalltreppe erreichen wir das Kesselhaus. In drei Stufen wird das Wasser erwärmt, bevor es als überhitzter Dampf mit 500 Grad Celsius und einem Druck von 100 bar die Turbine auf Touren bringt. Das Herzstück des Biomassereaktors ist eine der modernsten Kondensationsdampfturbinen, die Siemens/KWU quasi vom Band produziert. Die elektrische Leistung beträgt maximal 27,4 Megawatt (MW). Auch der Gesamtwirkungsgrad kann sich sehen lassen, er liegt bei 30 Prozent. Präzise 8,33 Kilogramm unbelastete Holzhackschnitzel pro Sekunde bringen den Biomeiler erst so richtig in Fahrt – und das bei einer Verbrennungstemperatur von etwa 900 Grad Celsius. Angefahren wird der Kessel mit Erdgas.

Die Einsatzdauer ist von den Ingenieuren auf 8.000 Betriebsstunden im Jahr festgelegt worden. „Der Strom wird ins öffentliche Netz gespeist“, erklärt Veltrup, sichtlich zufrieden mit dem, was er mit knapp 160 Mitarbeitern in nur 19 Monaten in Cuijk hochgezogen hat. Wenn alles nach Plan läuft, wird das High-Tech-Ökokraftwerk im Jahresdurchschnitt 175 Gigawatt „Groenen Stroom“ produzieren. „Das reicht zur kompletten Versorgung von 50.000 Haushalten“, so Projektleiter Veltrup.

Und der ökologische Vorteil? Nach den bisher vorliegenden Kalkulationen wird durch die Bioenergiezentrale ein Ausstoß von 95.000 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr vermieden. Der Grund: Die Nutzung von Biomasse erfolgt weitgehend CO2-neutral, weil das bei der Verbrennung frei werdende Kohlendioxid bereits zuvor durch die Fotosynthese der verwerteten Pflanzen – in diesem Fall der Hölzer – aus der Atmosphäre aufgenommen wurde.

Zunächst wird die Anlage nur Strom liefern. Ab dem kommenden Frühjahr soll eine nur knapp 250 Meter vom Bioreaktor entfernte Papierfabrik mit Wärme versorgt werden. Dank der gleichzeitigen Umwandlung in Strom und Dampf kommt die Energiezentrale dann auf einen Brennstoffnutzungsgrad, der bei fast 80 Prozent liegt. Rund 90 Millionen Mark (44 Millionen Euro) haben die PNEM-Verantwortlichen in das Projekt gesteckt. Für Manager Rob Remmers rechnet sich die Investition, obwohl eine normale GuD-Anlage preiswerter Strom liefert.

Bisher erhalten knapp 10.000 Verbraucher „Groenen Stroom“ von dem Brabanter Stromkonzern frei Steckdose geliefert. „Die Nachfrage ist groß, deshalb haben wir in das Biomassekraftwerk investiert“, erklärt Remmers. Bis Ende 2000 will PNEM 100.000 Kunden unter Vertrag haben, die Grünen Strom für einen Aufschlag zum normalen Strompreis von rund 8 Pfennig pro Kilowattstunde beziehen wollen. Mit herkömmlichen Kraftwerken könne man preislich eben noch nicht mithalten, so Remmers, deswegen der Öko-Obolus.

Biomassestrom, nur etwas für Betuchte? Die Fakten sprechen eine klare Sprache: Trotz aller technischen Fortschritte kann sich Holz noch nicht gegen die fossilen Energieträger durchsetzen. Da hilft auch der beste Turbosatz von Siemens nicht weiter. Nach einer aktuellen Studie des renommierten finnischen Forschungsinstituts VIT Energy ergeben sich je nach Anlage zwischen 10 und 25 Prozent höhere Strom- und Wärmekosten. Nur im Rahmen der Vermarktung von „grüner“ Energie, zum Beispiel über neu gegründete Ökostromhändler, kann die Restholzverstromung an Bedeutung gewinnen. „Bei den derzeit niedrigen Preisen für fossile Brennstoffe kann Biomasse nicht mithalten“, meint der Wuppertaler Energieexperte Kurt Berlo.

Im Klartext: Ohne staatliche Förderung, ohne breit angelegte Markteinführungsaktivitäten und gezielte Investitionshilfen für Ökokraftwerke à la Cuijk werden Holz, Reststroh, Grünmasse oder organische Abfälle als Primärenergiequelle auch mittelfristig nur ein Nischendasein führen. Der Beitrag der regenerativen Energieressource Biomasse lag 1998 in Deutschland bei 1 Milliarde Kilowattstunden. Die Windräder hierzulande produzierten etwa fünfmal so viel, und selbst die Stromerzeugung aus Müll lag noch doppelt so hoch wie die energetische Ausbeute der Bioreaktoren.

Nach Berechnungen des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheit- und Energietechnik in Oberhausen könnte Biomasse als erneuerbarer Energieträger auch hierzulande bei der Ausgestaltung einer nachhaltigen und klimaverträglichen Energieversorgung an Bedeutung gewinnen. „Das Potenzial zur Energiesubstitution schätzen wir auf etwa 26,5 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten“, meint Institutsmitarbeiter Markus Ising. Damit käme die Biomasse auf einen Anteil am Endenergieverbrauch von 8,6 Prozent, das entspricht einer CO2-Minderung um rund 60 Millionen Tonnen pro Jahr.

Besonders wichtig sei die regionale Bedeutung der energetischen Biomassenutzung, so die Forscher in Oberhausen. Land- und Forstwirtschaft könnten sich neue Absatzmärkte erschließen. Die Unternehmensberatung Frost & Sullivan rechnet bis zum Jahr 2005 auf dem weltweiten Biomassemarkt mit einem Umsatz von über 2 Milliarden Mark (950 Millionen Euro). Besonders kräftig werde das Exportgeschäft in den kommenden Jahren boomen, so die Analysten.

Große Unternehmen wie der Ölmulti Shell haben die Weichen in Richtung Biomassenutzung – kombiniert mit Wind- und Sonnenkraft – schon lange gestellt. Weltweit besitzt der Konzern heute über 200.000 Hektar Wald. „Das ist die Grundlage für unsere globalen Biomassepläne“, meint Pressesprecher Lars-Olaf Brendel.

Michael Franken