Modernes Lesen

Neue Bücher kurz besprochen

von Elke Schmitter

Nachruf

Ein Requiem auf eine alte Liebe kann so leicht schief gehen, wie es schwere Seelenarbeit war. Connie Palmen, die mit „I.M.“ ihrem Geliebten Ischa Meijer nachruft, konnte sich in den Niederlanden immerhin eines doppelten Interesses sicher sein: Sie selbst ist – seit ihrem dortigen Bestseller „Die Gesetze“ – eine populäre, junge Autorin (ein durableres Fräuleinwunder als diverse hiesige offenbar), ihr Geliebter zumal war eine öffentliche Erscheinung für Auge & Ohr, ein landesweit bekannter Journalist & Entertainer, den ich mir nach ihrem Buch als eine Sammelinkarnation hervorragender Eigenschaften von Harald Schmidt, Henryk M. Broder und Helmut Qualtinger vorstelle: ein dicker, lebenswarmer Mann, neugierig und tragisch, und eine Pointenwurfmaschine zu Glück & Unglück aller Beteiligten. Für Connie Palmen war es das Glück: der „Lebensmensch“ (ein Wort von Fritz Muljar übrigens), der einmalige, der alle Poren und Synapsen öffnet, mit dem die Tage & Nächte niemals enden sollen und mit dem es keine Routine gibt, sondern nur Rituale, keine Verödungen, sondern nur immer neue Lebendigkeit, und keinen Kummer, sondern nur notwendige Schmerzen. Er selbst fasste es, ihr zufolge, so zusammen: Zwei Neurotiker haben sich da gefunden, deren Beziehung nicht neurotisch sind.

So etwas (s. o.) kann schief gehen, aber es ging gut; sehr gut sogar. Palmen hat das Protokoll einer großen Liebe geschrieben, ausbalanciert zwischen Furor und Kitsch, Roman und Vermächtnis, ohne Angst vor sehr großen Worten, aber mit genügend leuchtenden Kleinigkeiten für die Vorstellungskraft der Alltäglichkeit: Suppe und Manuskripte, Besuche bei den Eltern, Frühstücksfreuden in Amerika und Abschiedselend vor der Haustür in Amsterdam. Das Ende ist das Einfachste: der Tod. So trübt keine Ent-Täuschung diesen Nachruf auf eine Liebe ein. Palmens Roman ist kein vorwurfsvolles oder zweifelndes Äsen im Vergangenen, sondern nur strahlende Erinnerung, radikal in ihrer Schlichtheit, klug in der Erzählung. Es gibt einen Satz von Montaigne, in dem er die Liebe zu seinem Lebensmenschen, dem Freund Etienne de Böitie, so bündig wie unanfechtbar bezeichnet: Weil er es war, weil ich es war. „I.M.“ ist ein Kommentar zu diesem Satz; jener Kommentar, den immer nur ein Mensch schreiben kann, für einen Menschen und vielleicht nur einmal.Connie Palmen: „I.M. Ischa Meijer. In Margine. In Memoriam“. Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers. Diogenes 1999. 400 Seiten, 39,90 DM

Recherche

Auch wenn man nie eine Inszenierung von Peter Brook gesehen hat, kann einen dieses Buch interessieren, wenn nicht gar begeistern: Behutsam in der Darstellung anderer Personen, ohne darüber blass zu werden, eine diskrete Autobiografie, vor allem aber der Suchbericht von einem, der an etwas glaubt, für das es viele Namen, aber keinen Begriff gibt. Man könnte es Atmosphäre nennen oder Energie oder ein kollektives Unbewusstes; eine verbindende Kraft jedenfalls, die aus einer guten Verbindung zum Selbst und aus Kommunikation entsteht und beispielsweise einen Theaterabend zu einem Ereignis werden lässt.

Der Regisseur Brook reiste mit seiner Gruppe, einem losen Verbund von Schauspielern aus unterschiedlichen Kulturen, durch die halbe Welt, um diesem Phänomen nachzugehen und jene Intensität zu erreichen, für die seine Arbeit gerühmt wird. In seinem Bericht vermeidet er Pathos, auch Missverständnisse kommen zu ihrem produktiven Recht: Bei der Vorbereitung auf ein Gespräch mit einem Sufi in Kabul beschließt er, „die Diskussion in einer, wie uns schien, passenden orientalischen Metaphernsprache zu eröffnen. Ich wollte eigentlich meine ewige Frage stellen: Wie soll man auf die dunklen Ahnungen reagieren, dass es ,etwas anderes‘ jenseits der Alltagswelt gibt? Also lehnte ich mich zum Derwisch und setzte zu meinen poetischen Bildern an. ,In meinem Haus‘, sagte ich und versuchte, dem Wort einen besonderen symbolischen Klang zu verleihen, ,ist mir manchmal, als hörte ich Geräusche. Ich weiß nicht, woher sie kommen oder was sie sind –‘. Er war eindeutig interessiert und unterbrach mich. ,Was für Geräusche? Können die vielleicht von den Rohren kommen? Haben Sie schon mal einen Baumeister gerufen?‘ “

– Stegreifaufführungen auf Dorfplätzen in Afrika, Inszenierungen an kultischen Orten in Persien, schließlich die Arbeit im eigenen Theater in Paris: Brooks Erinnerungen zielen nicht auf technische oder auch „künstlerische“ Details, sondern auf Intensitäten, Verdichtungen, Präsenz und die lebenslange Arbeit an deren Bedingungen. Seltene Sache: Spiritualität ist das eigentliche Thema, aber ohne die übliche esoterische Verschlammung und Verschlickung der Begriffe. Seltene Sache, besonderes Buch.Peter Brook: „Zeitfäden. Erinnerungen“. Aus dem Englischen von Frank Heibert. S. Fischer Verlag 1999. 320 Seiten, 48 DM

Wortwerkbank

Dass beim Dichten Intuition und Intelligenz zusammengehören, ist wünschenswert, aber mir bei niemandem so anschaulich wie bei Peter Rühmkorf, der in den Göttinger Sudelblättern einen Werkstattbericht abliefert – politisch, scharf, vergnüglich wie gewohnt. Blickwechsel mit Benn & Brecht, natürlich Ringelnatz; Barocklyrik wird mit aufrichtiger Andacht zitiert; Rühmkorf hält Einkehr beim Volksmund und spuckt im Vorübergehen Vaterlandsweihepriestern wie Rudolf Alexander Schröder in den Zinnbecher: Er zeigt, was und wo er gelernt hat, und öffnet Tore und Falltüren in die (Literatur-)Geschichte. Wie die angezeigte CD ein munteres Stück Gelehrsamkeit vom unehelichen Sohn einer Lehrerin und eines Puppenspielers. Sic.Peter Rühmkorf: „Wo ich gelernt habe“. Göttinger Sudelblätter. 48 Seiten, 24 DMPeter Rühmkorf liest Lyrik und Prosa. 2 CDs, 39 DM Beides Wallstein Verlag 1999

Kleinod

Sagt man selten und vielleicht immer noch zu häufig: Hier ist es angebracht, geboten, unbedingt. Das Berliner Adressbuch des Paul Hindemith, vom Kollegen George Antheil bis zum zeitweiligen Arbeitspartner Carl Zuckmayer ist nicht nur ein privater Längsschnitt durch das Künstlerberlin der Zwanziger & Dreißiger, der zeigt – ach! –, wer damals alles versammelt war und sich Hemden machen ließ, Opernkarten bestellte, über Libretti brütete und später dann in „Schutzhaft“ in Moabit genommen worden war (wie auch Hindemith Weihnachten 33). Es ist auch der Querschnitt durch einen Kopf, der sich mit Assoziationen behalf und das Leben verschönte, einen klugen Kinderkopf, der zur Hundesteuer eine wörtliche Zeichnung machte (Hund mit Steuerrad am Schwanz), Dr. Benn eine Spritze beigesellte und Herrn Hübschmann eine Blume unter den entzückenden Schnurrbart. Und es ist ein Kleinod der Forschung: Wer die Kommentare der Herausgeberinnen Christine Fischer-Defoy und Susanne Schaal gelesen hat nach oder zwischen der Ergötzung an diesem Fund der Beiläufigkeit, der ist auch klüger geworden. Nicht nur über Hindemith. Kleinod, dolles Ding.„Berliner ABC. Das private Adressbuch von Paul Hindemith, 1927 bis 1938.“ Transit Verlag. 304 Seiten, 48 DM