piwik no script img

Press-SchlagGrönland oder Portugal

... der Pöbel, der ist überall: Das stressige Leben der Fußball-Fans an der Algarve

Portimao/Vilamoura (taz) Aus Hamburg zum Beispiel sind gut 30 Clubfreunde mit herunter geflogen, 21 von ihnen haben für rund 3.000 Mark die HSV-Vip-Tour gebucht mit Golf-Arrangements und exklusiver Verköstigung während der Trainingsspiele. Die 12 BerlinerInnen müssen selbst lachen, wenn sie auf dem Trainingsplatz der Ihren „Ha-ho-he, Hertha BSC“ anstimmen und die Golfer in Rufweite dadurch beim Putten gestört werden.

Das fußballjecke Köln weiß die Rekordzahl von 45 Vereinsfreunden im Gepäck: Als zwei Dutzend „Cologne Boyz“ in Faro einschweben, beschallen sie gleich recht vollgetrunken (ungewohntes Pils statt Kölsch an Bord?) die Flughafenhalle. Zwei Kölner sind sogar für zehn Tage je 36 Stunden per Bahn unterwegs gewesen; Grund: Flugangst. Die sparsamen Schwaben vom VfB Stuttgart kommen mit zwei Supportern aus.

Die Sechs von Alemannia Aachen sagen beim Trainingsmatch selbstironisch: „Wir zittern mit wie im Meisterschaftsspiel.“ Provozierend gemeint ist ihr riesiges Transparent: „Ob Grönland oder Portugal – der Pöbel, der ist überall.“ Und erklären das so: „Alles Pack und Proll: So will die Öffentlichkeit doch die Fußballfans sehen. Da geben wir den Leuten eben was für ihre Vorurteile.“

Die Alemannia-Spiele sind für diese Fans nur das Pflichtprogramm. Zumindest drei der sechs sind ausgewiesene Groundhopper; Leute, die möglichst viele Spiele in möglichst vielen Ländern sehen wollen: Platzsammler, Begegnungsmaximierer. Und so hatten sie ein echtes Stressprogramm: Sie waren nebenan (400 Kilometer) im spanischen Merida zum Erstligaspiel und sind drei Tage später wieder nach Spanien „zum Kultverein Extremadura“ (Liga 2) gerast, wieder gut 400 Kilometer hin, 400 zurück, jeweils in knapp vier Stunden Landstraße.

Sie kennen alle Trainingsspiele und Wohnorte dieser Wochen an der Algarve auswendig und haben die Pläne bis runter zur 2. portugiesischen Liga dabei. Jörg (25), Bürokaufmann, Lebensleistung bislang „über 700 Spiele in 32 Ländern“, berichtet von Belgien: „Da fehlen mir bis runter in die 3. Liga nur noch zwei Stadien.“ Mitstreiter Michael (31), ein Versicherungskaufmann aus Düsseldorf, will nächstes Jahr unbedingt zum WM-Qualifikationsspiel Faröer-Inseln gegen Luxemburg: „Ist doch toll, und da war ich noch nicht.“ Seine Portugal-Hoffnung: „Wenn alles klappt, sehen wir in den zwei Wochen hier 15 Spiele.“

Das wurde schließlich stressig: Dienstag sind sie hoch zum Ligaspiel nach Guimarães (650 Kilometer), Anstoß 21 Uhr, Rückkehr nachts um 4.45 Uhr. Nach dem späten Frühstück spielte Alemannia, da aber mussten sie vorzeitig gegen 16 Uhr 45 weg, weil um 20 Uhr in Lissabon (300 Kilometer) das Pokalderby zwischen Jupp Heynckes' Benfica und Sporting lockte (Ergebnis übrigens 1:3).

Doch an diesem Tag hatten sie strategisch alles falsch gemacht: Sie verpassten den späten Ausgleich ihrer Aachener Lieblinge und scheiterten in riesigen Staus, erst auf der Autobahn, dann vor den Kassenhäuschen. Einer von dreien war immerhin 20 Minuten im Stadion. Und die beiden Stuttgart-Fans haben sie unter 70.000 getroffen. „Aber sonst: Alles ziemlich enttäuschend, na ja.“ Fahrleistung der Ballbesessenen in 2 Wochen: fast 7.000 Kilometer. Wahrscheinlich werden sämtliche Leihwagenfirmen an der Algarve die Preise bald rapide aufstocken. -müll-

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen