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Richtig schön saftig grün

Portugals Südküste ist dieser Tagen Fußball-Deutschlands liebste Übungswiese. Über ein Dutzend Proficlubs bereiten sich hier auf die 2. Saisonhälfte vor ■ Von der Algarve Bernd Müllender

Es ist schön zur Zeit im Süden Portugals. Die Sonne gibt Tag auf Tag ihr Bestes (16 Grad), die Mandelbäume beginnen zu blühen, und die Touristenmassen sind noch nicht eingefallen. Dafür aber die Fußballer. Und das wie nie zuvor: Sieben Bundesligisten bereiten sich in diesen Tagen hier auf die Rückrunde vor, dazu mehr als ein Dutzend Zweit- und Drittligateams. Auch zu Sparta Prag, Celtic Glasgow und Lok Moskau ist der Ruf vom idealen Winterlager Algarve gedrungen.

Sie wohnen in 4- bis 5-Sterne-Herbergen, die bisweilen so nah beieinander liegen, dass es vom Duisburger Sheraton nach Freiburg kaum 20 Minuten Fußweg sind und man zwischendurch noch im Falesiahotel des 1. FC Köln Guten Tag sagen kann. Der SC Freiburg ist sogar zum mäßig ökologischen Jetset-Club geworden: Zweimal waren sie in diesem Januar hier: erst eine Woche Konditionsarbeit, dann zurück zum Berliner Hallenturnier und wieder in den Flieger nach Portugal zu Ballmaloche, Spielwitzübungen, Taktikschulung. Feinschliff heißt das. Oder Arbeit am Pressingpotenzial. Es soll sehr helfen.

Alle loben die Algarve. „Alle fahren hierhin, weil alle hierhin fahren“, bringt es Unterhachings Trainer Lorenz-Günter Köstner auf den Punkt. „Das Klima ist stabiler als etwa in der Türkei“, sagt er und weiß sonnenbeschienen Kölns Coach Ewald Lienen auf seiner Seite: „Das Hetzen durch das riesige Trainingsprogramm“ gehe eben „besser in angenehmer Atmosphäre“. Zudem, so Lienen, seien „die Hotels mittlerweile bestens auf Fußballer eingestellt“. Das betrifft vor allem das Essen, dazu Kraft- und Ruheräume, Sauna, Whirlpools. Und, freut er sich, da sind diese „richtig schön saftig grünen Trainingsplätze“, ganz im Gegensatz zum winterlichen Deutschland-Matsch, der höchstens durch Frost abgelöst wird. Salopp sagt Hertha-Manager Dieter Hoeneß: „Portugal hat sich mittlerweile eingebürgert. Und jedes Jahr werden es mehr.“

Alles bestens? Nicht ganz: Denn ungestörte Ruhe gibt es nicht. Neben den Fans ist auch die Presse vor Ort. Allein bei Hertha BSC sind sechs Schreiber dauerhaft dabei, diverse Fotografen, und jeden Tag kommt ein anderes Fernsehteam. Vor allem tm 3 muss seine wenigen Zuschauer bei Champions-League-Laune halten und dreht Filmchen auf Filmchen. Jedes Team hat seine Lokalreporter dabei, die die gleichen Storys schreiben wie daheim, nur vom anderen Ort.

Ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung befasste sich am Rande auch mit Alemannia Aachen. Der SZ-Reporter war nicht vor Ort gewesen und hatte sich auf kompromittierende Erzählungen eines Aachener Fans verlassen, der sich mit Kumpanen frech im gleichen Hotel wie die Mannschaft einquartiert hatte – zum Nebensaison-Dumpingpreis und zum Leidwesen des „leicht geschockten“ Trainers.

„Zum Schrecken der Zimmermädchen“, war da zu lesen, hätten die Spieler „laut Karnevalsmusik gehört“ und seien „unbekleidet über den Hotelflur gelaufen“. Ein Aachener hätte sich gar „beschwert“, die Fans würden sich „sozialer benehmen als unsere Mannschaft“. Die Folge: Wüste Empörung im Alemannen-Tross. Verständliche Befürchtung: Es könnte der grundfalsche Eindruck entstehen, hier sei eine Horde urlaubender Winterflüchter als Fußballprofis getarnt zum Halligalli eingefallen. Aachens polteriger Coach Eugen Hach, dem kleinste Kritik ärger zusetzen kann als manches Gegentor, war gar nicht zu beruhigen: „So’n Scheiß, so’n Scheiß, immer nur das Negative. Und dann stimmt es nicht. Scheiße alles. Scheiß Presse.“

Vielleicht hatte der SZ-Informant auch nur den Hotelflur mit der Hotelsauna verwechselt? Wie auch immer: Es wird überall ernsthaft und vielschweißig gearbeitet, durchweg leibverhüllt und ohne jedes Humbtata auf den Lippen. Um dem Leistungsoptimum näher zu kommen oder dem eigenen Stammplatz, herrscht ein küstenweites Schablonenprogramm: Wecken-Frühstück-Sammeln-Training-Mittagessen-Mittagsruhe, danach wieder Sammeln-Training-Abendessen-Regeneration-Wehwehchencheck-Schlafen. Wenn man die Übungswiese nicht gleich am Hotel hat, kommen noch vier Busfahrten dazu – und vielleicht das eine oder andere Bier vor der Nachtruhe. Es sei denn, man ist Angestellter des 1. FC Köln, wo Trainer Lienen absolutes Alkoholverbot erlassen hatte.

Es ist fast wie Militär. Wenn die Kicker einen halben oder sogar einen Tag freihaben, bleibt die Hälfte im Hotelbereich, schlägt die Zeit tot bei Billard, Tennis und Playstation-Wettbewerben oder schleicht im immer gleichen Trainingsdress, immerhin im Einheitsturnschuh statt auf den sonst unvermeidlichen Badelatschen durch die Umgebung. Manche der Stars haben nicht mal Privatkluft mitgenommen und sagen verblüfft: „Ja, wofür denn auch?“

Bei Hertha BSC haben einige Spieler immerhin ein paar Bahnen Golf vor ihrer Haustüre gespielt, berichtet Manager Hoeneß (Handicap 13). Sicher wird es nicht wenige Kicker geben, die die beeindruckende algarvische Felsküste, das schöne Hinterland gleich hinter den Hotelgettos oder die kilometerweiten grotesken Bausünden überhaupt nicht wahr genommen haben. Manche sagen gutwillig „Grácias“ und wähnen sich womöglich auf Mallorca.

Einem wie Stuttgarts Ex-Nationalspieler Thomas Berthold (35) hängt das Trainingsgelagere zum Hals hinaus. Wie viele davon mag er auch in seiner langen Karriere mitgemacht haben: 50, 60, mehr? Berthold maulte über den ganzen Stress und die dauernden Spiele, wo er, mit sichtbarem Trainingsrückstand um die Hüften, auch noch mitmachen muss: „Keine Lust mehr, dieser Mist, die nächsten drei Tage mach ich nur noch Regeneration.“ Es kann nur ein Aufschub gewesen sein: Tags drauf verlängerte Stuttgart den Portugal-Trip um drei Tage.

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